23.06.2016, 17:23 | #1 |
TENEBRAE
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Gebändigt
Ein heißes Flüstern wohnt in meinen tiefsten Gängen,
darein kein Licht aus dem Gewissen fällt, und alle Tage spüre ich sein grimmes Drängen an meine Reue, die den Riegel hält. Zuweilen freilich wird sie müde ihrer Wache und schaut mich bittend aus der Tiefe an, und hinter ihrem Blick fragt unentwegt der Drache, ob sich der Riegel endlich lösen kann. Doch ließe ich, geliebtes Tier, dich von der Leine, du brächtest rasend mich um den Verstand, und alle Tugend, Weisheit und das letzte Reine, das mir verblieb, entglitten meiner Hand.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (29.10.2016 um 20:53 Uhr) |
24.06.2016, 11:39 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo eKy,
Das ist wunderbar! Eine schöne Sprache und ein sehr nachdenkliches Gedicht. Es erinnert daran, das in uns Tierisches, Animalisches wohnt. Kräfte die destruktiv und zerstörend sein können. Woher diese Gefühle auch immer kommen, kann vielfältige Gründe haben. Dieses Zerstörende kann sich auch gegen Andere und uns Selbst wenden, dann muß der Mensch innerliche starke Kräfte haben um "Das Tier" im Menschen zu bändigen. Es ist ein starkes Gedicht, es macht Mut! Denn der Preis wenn das innerliche Grimmen und Grollen gebändigt ist, ist der Frieden, mit einem Selbst und mit Anderen. Sehr gerne gelesen, weil mich der Inhalt und die Sprache überzeugen. Liebe Grüße sy |
24.06.2016, 18:13 | #3 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
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Beiträge: 8.570
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Hi Sy!
Ich meinte die eigene Dunkelheit, die "böse" Seite, die Hemmungslosigkeit, das Ausleben des internen "Mr. Hyde" ohne Rücksicht oder Inbedachtnahme von Konsequenzen, ob für sich oder andere - ich nenne es gern "meinen Drachen", da ich schon immer eine starke Affinität zu diesen Fantasiegeschöpfen hatte (nach dem chinesischen Horoskop bin ich sogar einer! ) Der Riegel ist die Reue (oder sie hält ihn, wie auch immer) über früher Getanes, aus dem man lernte. Aber der Mensch vergisst gern, verdrängt oder relativiert - dann mag es geschehen, dass die Sperre brüchig wird, und der Drache beginnt zu grollen ... Dann muss man ihn umarmen, ihn streicheln und ihm versichern, dass er immer Teil von einem sein wird, ein geliebter Teil - aber gebändigt, gezähmt um des eigenen und anderer Wohlergehen willen. Wer seinen Drachen aber bloß wegsperrt und ignoriert, der füttert ihn mit Verleugnung und Scham, macht ihn auf Dauer wütend, wild und stark - und wenn er dann ausbricht, zerstört er Leben! Meist das eigene, zuweilen auch das anderer ... Selbstbeherrschung erstarkt, wenn sie weiß, um wessentwillen sie geübt wird ... Vielen Dank für deine Gedanken! LG, eKy
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24.06.2016, 20:31 | #4 |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Lieber eKy,
wohl dem, der den Drachen in sich "hört" und nicht erhört, sondern bändigt. Ein sehr schönes "Denkergedicht" mit gut gewählten Metaphern. Solch ein Tier hat jeder Mensch in sich. In früheren Yoga-Sitzungen haben wir nach diesem Tier gesucht. Bei mir ist es ein schwarzer Panther. Nach chinesischem Horoskop bin ich ein Hase. Ich empfinde es als große Aufgabe als Hase einen Panther zu bändigen. Schön, dass in der Besprechung auch solche Geständnisse stattfinden dürfen. Das Gedicht gefällt mir - doch wie sollte es anders sein, es ist eines von Dir. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
24.06.2016, 20:47 | #5 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
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Beiträge: 8.570
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Hi, Dana!
Vielen Dank für Analyse und Lob! Ob jemandem hier schon das für mich ungewöhnliche Hebungsschema aufgefallen ist? Hier wechseln sich 6- und 5-hebige Zeilen ab: 6565 Solang derlei nämlich in strengem Regelmaß geschieht und - sehr wichtig - zum sprachlichen Duktus passt, habe ich gar nichts dagegen! LG, eKy
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24.06.2016, 20:54 | #6 | |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Zitat:
Außerdem, es passt!!!! Liebe Grüße Dana
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29.10.2016, 20:56 | #7 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
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Hi Dana!
Ja, es passt, und überraschend gut! Eigentlich wollte ich das Zerrissene der Figur damit untersteichen, die ihren Drachen im Zaume hält, also jene Teile von sich, die - nett umschrieben - nicht gesellschaftfähig sind. Aber es fügt sich taktlich harmonisch zu einem Ganzen. Nun, auch nicht verkehrt, wenn das LyrIch gelernt hat, mit seinem Drachen auszukommen ... LG, eKy
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