01.09.2014, 11:06 | #1 |
TENEBRAE
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Bilanz eines Gotteskriegers
Eine Entscheidung getroffen - alle weiteren verdrängt.
Einen Götzen gefunden - die anderen verdammt. Ein Mädchen geliebt - siebenundzwanzig vergewaltigt. Eine Frau geheiratet - fünfzig in die Sklaverei verkauft. Ein Kind gezeugt - zwölf erschossen. Niemals bereut - niemals vergeben. Im Namen des Herrn.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (01.09.2014 um 11:17 Uhr) |
01.09.2014, 12:20 | #2 |
Wortgespielin
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Hallo Erich,
schön, dass du dir einen ungereimten Reim auf die Welt gemacht hast in antithetischer Gegenüberstellung. Das Kind ist für mich dabei das härteste Totschlag- Argument. Das darf man erst einmal alles sacken und arbeiten lassen, ein kraftvoller und starker (Auf)Tritt. Weiter so, die Art gefällt mir. AZ |
01.09.2014, 15:17 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
ich stimme AZ zu, überraschend in seiner Art, ein starke und gute Sprache, und auch ich würde mich freuen, wenn du mehr in dieser Richtung versuchen würdest. Vielleicht könntest du die "Billanz" noch subjektiver machen. Der Gottekrieger würde nicht "verdrängt" sagen sondern dass sie "nebensächlich" bzw. "unwichtig" sind und auch nicht "Götze" sondern "Gott". Auch könnte man die "in die Sklaverei" nach dem "vergewaltigt" in der Zeile davor weglassen. Es wäre dann etwa so: Eine Entscheidung getroffen - alles Andere war unwichtig. Den einen Gott gefunden - die anderen verdammt. Ein Mädchen geliebt - siebenundzwanzig vergewaltigt. Eine Frau geheiratet - fünfzig verkauft. Ein Kind gezeugt - zwölf erschossen. Nie vergeben - niemals bereut. Im Namen des Herrn. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
01.09.2014, 18:01 | #4 |
TENEBRAE
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Hi, AAAAAZ!
Bei so einer Thematik würden Reime nur verspielt und unreif wirken... Warum Totschlagargument? - Alles Tatsachen. Haben schon die Römer in eroberten Städten gemacht und die Amerikaner in vietnamesischen Dörfern... Praktisch alle beriefen sich dabei als zu solchem Tun Berechtigte im Namen einer "höheren Ordnung", als rassisch oder kulturell Überlegene im Besitz der ultimativen Wahrheit. Ob politisch oder religiös... Hi, Thomas! Worte wie "unwichtig" oder "nebensächlich" erfüllen bei ostentativem Gebrauch Verdrängungsfunktion. "Götze" ist bewusst gewählt, weil für mich alle Götter genau dies sind: Von Menschen erdachte Konstrukte zur Stärkung einer kulturellen Identifikation, eines Gemeinschaftsgefühls - und gegen die Angst vor einem übermächtigen, unerklärlichen Universum. Eben leider auch sehr brauchbar für Ausgrenzung und Herabsetzung Andersdenkender, bis hin zu deren Entmenschlichung und Vernichtung. Zwischen Vergewaltigung und Sklaverei besteht ein großer Unterschied. Dabei habe ich die Beschneidungsfatwa für Frauen und Mädchen dieser Steinzeitfanatiker gar nicht erwähnt, da ich den Text bewusst neutral halten wollte: Es gibt solche Gotteskrieger früher oder später nämlich in praktisch jeder Religion. Schon als die Kreuzzugsritter über die Städte des Ostens herfielen und alles massakrierten, was ihnen fremd erschien (es konnten auch Christen sein...), hat sich das Christentum als ebenso anfällig für solche Einstellungen erwiesen. Damals war der Islam die bedeutend tolerantere Religion! Wie die Juden, "das erwählte Volk", laut AT in Palästina gehaust haben, um sich ein Land zu erobern, wollen wir lieber nicht näher betrachten! Bis heute segnen katholische Priester die Waffen von Soldaten, die in den Krieg ziehen - auf beiden Seiten! Was sagt uns das über die Perversion, vor allem aber die perverse Anpassungsfähigkeit von Glaubenskonstrukten? Nein, das "Glauben" an und für sich trägt schon den Keim des gewaltsamen Missbrauchs in sich, in religiösen wie in politischen Systemen! Und je schwächer Selbstwertgefühl und Bildungshintergrund sind, desto leichter wird man zum willigen Opfer von deren Propheten und danach zum Täter für sie! Der "stolze Gotteskrieger" ist - nur für sich betrachtet - im Grunde das allerärmste nur vorstellbare Würstchen...mit einer Maschinenpistole. LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
01.09.2014, 20:59 | #5 |
Gast
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Hallo eKy
Du hast hier ganz gegen Deine Gewohnheit, Dein Reimschema verlassen.
Es muß also wichtig sein. Du spiegelst hier Ansichten. Schwarzweiß ist das Denken von Radikalität, es läßt keine Zwischentöne zu. Beim Lesen Deines Textes war mir nicht wohl zumute. Er wühlt auf. Es sind die Spielregeln vom Krieg. nachdenklich sy |
01.09.2014, 21:19 | #6 |
Slawische Seele
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Lieber eKy,
sehr stark diese Zeilen. Sie machen Gänsehaut statt Zorn, weil die ganze Perversion aufgezeigt wird. Deine Antworten bestärken und bestätigen alle Gedanken dazu. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
02.09.2014, 01:42 | #7 |
Wortgespielin
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Hallo eKy,
Todschlagargument ist terminologisch natürlich falsch, aber der Tatbestand des Totschlags ist nunmal gegeben, und eine weitere Diskussion erübrigt sich. Was sollte da noch hinzugefügt werden? Das meinte ich mit Totschlagrgument. Tote Kinder sprechen ihre starke Sprache. Solche Bilder werden aber auch instrumentalisiert und gerne verwendet, gerade um kriegerische Auseinandersetzungen zu rechtfertigen. Ich erinnere mich an eine Bildzeitungsüberschrift, welche vor dem Einsatz im Kosovo sinngemäß fragte : ,,Wollen wir das?" Darunter war ein Foto zu sehen, welches u.a. tote Kinder zeigte. Die Bevölkerung musste hinter die moralische Entscheidung des Eingreifens gebracht werden, um sie politisch durchsetzen zu können. Die Waffensegnung und den kriegstreibenden Anteil am Glauben sehe ich aber durchaus differenzierter. Du schreibst: ,, "Glauben" an und für sich trägt schon den Keim des gewaltsamen Missbrauchs in sich, in religiösen wie in politischen Systemen!"... Die Waffensegnung war besonders bei der Mobilmachung vor und beim ersten Weltkrieg gegeben. Die Parole lautete damals : ,,für Gott und Vaterland". Heute gibt es zum Glück genügend kritische Ansätze innerhalb aller Religionen. Ich kann mir daher nicht mehr vorstellen, dass z.B. die anstehenden Waffenlieferungen an die Kurden heute noch mit einer christlichen Segenszeremonie ablaufen könnte. Von daher muss man den Wahnsinn und den bestehenden Zynismus sehr unterschiedlich betrachten und genau unterscheiden. Allen Glaubensrichtungen eine martialische Grundmotivation zu unterstellen, (weil man selbst vielleicht ein Atheist ist), wäre in meinen Augen weltfremd. Von den Religionen gehen neben allem bestehenden Dogmatismus durchaus auch brückenbauende , versöhnliche und friedensstiftende Impulse aus. Diese zu negieren zu wollen ist ebenso blind, wie das blinde Handeln eines Gotteskriegers. Dass ,,im Namen des Herrn" heute immer noch gemordet und gebrandschatzt wird, ist mE. niederen Motiven menschlichen Daseins zuzuschreiben ( Macht, Habgier, Neid, Hass etc.). Diese Rechtfertigung bis hin zu Fanatismus und Hass hat nichts mehr mit der Religionslehre zu tun, nur weil man sich bei der Auslegung der Lehre der Logik einer einseitigen Radikalisierung anschließt. Eine Vermischung oder Gleichstellung mit dem Glauben diskreditiert alle, die im Rahmen ihres Glaubens für eine bessere, gerechtere und friedlichere Welt einstehen. AZ |
02.09.2014, 13:09 | #8 |
TENEBRAE
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HI, Sy, Dana!
Danke für euer positives Feedback! Hi, AAAAAZ! Waffensegnung gibt es nach wie vor, vielleicht nicht mehr so öffentlich, aber dennoch. Möglicherweise in Europa weniger, aber in Lateinamerika auf jeden Fall noch im Vollprogramm! Klar diskreditiert das Agieren von Steinzeitpharisäern all jene Gläubigen, die friedfertig und tolerant sind. Von denen war aber nicht die Rede - ich meinte das nackte soziokulturelle Konzept "Religion"! Meine Meinung dazu habe ich schon oft genug gesagt: Meinethalben sollte die Menschheit möglichst bald erwachsen werden und solch tröstlich-diktatorischer Krücken nicht mehr bedürfen, weder zur Tröstung/Stabilisierung einer hypothetischen "Seele" noch als soziales Binde- und/oder Ausgrenzungsmittel, vom Missbrauch als Vorschubsargument für rassistisch/intolerante, politische oder wirtschaftliche Interessen ganz zu schweigen! Wer die Welt objektiv betrachtet und seine zerebralen Fähigkeiten unvoreingenommen nützt, kommt ohnehin zu dem Ergebnis, dass die Existenz irgendwelcher Überwesen bestenfalls marginal wahrscheinlich sein kann - und dass diese Wesen im höchst unwahrscheinlichen Falle ihrer Existenz zumeist so agieren (oder auch nicht agieren), dass man sie erst gar nicht kennenlernen möchte! LG, eKy
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02.09.2014, 15:23 | #9 |
Wortgespielin
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Hallo Eky,
irgendwie zuckt es bei mir, wenn du aus deiner Welt berichtest. Es ist die alte Geschichte vom Unterschied zwischen Physik, Philosophie und Religion. In der Physik sucht jemand mit verbundenen Augen in einem pechschwarzen Raum eine schwarze Katze. In der Philosophie sucht jemand mit verbundenen Augen im gleichen Raum nach einer schwarze Katze, die es physikalisch betrachtet höchstwahrscheinlich dort nicht geben kann, und in der Religion sucht jemand dort mit verbundenen Augen eine Katze, die gar nicht da ist, und schreit:,, Hosianna, ich hab sie!" Dein Standpunkt in Ehren, er ist schon klar. Für mich sind solche Überlegungen Gedankenspiele, und unter dem Strich zählt nur das Ergebnis. Hierbei kann es keine moralische Einteilung geben in religiös oder nicht, das ist haltlos, und vorurteilsbehaftet. Es lässt sich trefflich über die schwarze Katze fabulieren, und an ihr ließe sich das eigene Weltbild wunderbar erklären. Letztendlich bist du ( nicht du persönlich , lieber eKY) als Atheist, als Klugscheißer, als Aufgeklärter, als Mönch oder als König vom Ergebnis her betrachtet genauso viel oder wenig überzeugend für mich und für dein Tun verantwortlich. Du bist ein egomanisches Arschloch, oder ein feingliedriger Mensch mit einer ungeheueren Sozialkompetenz, du bist Weltverbesserer, oder Massenmörder, es hängt aber nicht an deiner Religion und an deinem Glauben. Wer mir die Welt in schwarz - weiß- Manier in Religionsraster einfriert, und mir erklären will, wo die gute und wo die schlechte Seite liegt, geht ungeniert mit seinen Vorurteilen hausieren. Genauso dürfen sich Religionen nicht gegenseitig ausspielen lassen, oder der Atheist sich an die moralische Spitze stellen, weil er sich keiner menschenverachtenden Religion anschließt. Ein Gotteskrieger ist kein Islam, ein Katholik steht nicht auf Kreuzzüge und ein Protestant ist kein misanthropischer Calvinist. Was ist denn das für eine engstirnige Weltauffassung, die dem engstirnigen Gotteskrieger da entgegengestellt wird. Agieren und gestalten Atheisten in deiner Welt überzeugender für dich? Da möchte ich manchem gottlosen Handeln manchmal genau das gegenteilige Rezept verordnen. Ich weiß genau was du meinst, spreche mich aber gegen Simplifizierung durch Pauschalierung aus. In solch einem Denkhorizont agiert nämlich genau dieser Gotteskrieger, den du uns vorgestellt hast, vermutlich im größtmöglichen Rahmen seiner zerebralen Fähigkeiten. AZ |
02.09.2014, 21:46 | #10 |
Slawische Seele
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Hallo AZ,
nicht dich persönlich meine ich - mich erfasst die Diskussion, die eKy mit einem ganz eigenen Werk ausgelöst hat. Deine Argumente sind interessant und ganz bestimmt wahr. Für mich geht es aber nicht um Gedankenspiele eines Einzelnen, nicht die des Katholiken, des Protestanten und des Muslims. Als der Mensch begann zu existieren, war er frei von Religion. Diese wurde ihm auferlegt und wird es immer noch. Mich "ärgert", dass das Denken an sich immer wieder in eine Schublade von Gut und Böse gerät. Dieses Phänomen bildet sich in der Religion am stärksten aus. Selbst wenn ich zugeben muss, dass Politik nichts anderes ist, ist für mich jede Religion viel schmerzvoller. Sie schafft nur etwas für die Masse, um diese (für Jahrtausende) für sich über die Angst der Ewigkeit zu gewinnen. Politik ist darin kurzfristiger - nicht unbedingt besser. Warum fällt es uns so schwer, das Leben das wir haben, als einzigartig zu pflegen. Warum lassen wir uns verdummen, vernichten, kreuzigen um danach ein Heil zu erfahren? Warum gibt es Kriege? Doch nicht um meinet- und deinetwillen! Einzig um ihretwillen, die ihre Vorteile in der Einzigartigkeit voll ausleben und die Masse als Sklaven dafür be- und ausnutzen. Die Politik wird es vorerst nicht besser machen (bereits nachgewiesen) - aber ohne Jenseitsdenken wären Menschen bereiter sich um Realitäten zu sorgen. Man sündigt nicht, wenn man sich gegen Unrecht aufbäumt, höchstens wenn man es lässt. Wird dir aber von Anbeginn beigebracht, dass zum Heil ein Ertragen und Leiden gehört, das irgendwo stattfindet und du nie die Chance erhälst, dich darüber zu informieren, bleibst du fromm und gut - ganz im Sinne der Religion. Ob ohne Religion alles besser wäre, weiß ich auch nicht. Kriege und Krieger gibt es gerade jetzt auch ohne sie - als ob es um Kämpfe gegen Windmühlen ginge. Der Denker bleibt immer allein. Damit, lieber eKy, wollte ich erneut der Perversität zustimmen, die dein Gedicht ausgelöst hat. Die Dichtung sucht nach Besinnung aller und nach Anworten von Verantwortlichen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) Geändert von Dana (02.09.2014 um 22:12 Uhr) Grund: Fehlerteufelchen |
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