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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 01.10.2011, 09:17   #1
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Standard Goldene Tage

So golden sind die Tage nur noch selten -
die Luft ganz klar, der Himmel weit und blau –
doch wenn sie’s sind, dann lasse dies auch gelten:
Steig hügelan die Berge hoch hinauf und schau

von all den Kämmen, Büheln oder Graten
hinab ins Land, das sich bescheiden fügt!
Von dort erkennst du: Oh, wie wohlgeraten
ist doch die Welt! Ob je der Mensch genügt,

in all dem Schönen seinen Platz zu haben,
sodass er einsichtsvoll der Wege geht
und klug verteilt, verwaltet all die Gaben?
Wie kann es sein, dass er sich nicht versteht

auf Demut? Fügt sich das Moderne
denn niemals richtig in ein goldnes Maß?
Wir gier’n nach Licht, doch neben uns verblassen Sterne
und mancher Vogel fällt schon leis ins Gras.

So golden sind die Tage nur noch selten -
doch atme trotzdem froh, solang dies währt!
Du müsstest dich ja sonst der Dummheit schelten:
Es kommt, was kommt! Sei dennoch unbeschwert….
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Alt 03.10.2011, 21:09   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
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Beiträge: 9.912
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Servus larin,

ich denke, dieses Gedicht ist auf zwei Ebenen interpretierbar.
Es spricht für die Natur im Allgemeinen und die Natur im Speziellen, genauer gesagt für die des Menschen.
Nun, das eine schließt das andere ja durchaus ein, denn der Mensch ist ja auch ein natürliches Wesen (obwohl es auch solche Exemplare gibt, für die sich die Spezies eigentlich schämen müsste ) und daher natürlichen Ursprungs.

Steigen wir nun in der ersten Strophe in einen schönen Herbsttag ein, der dem Spätsommer alle Ehre machen würde und erklimmen dann in seinem goldenen Lichte die Höhen der Berge, um die Schönheiten der Natur und hier die Ästhetik der Landschaft zu betrachten. Da kann man schon ins Schwärmen geraten und die Vollendung dieser bewundern und sich fragen, wie all dies nur möglich sei und ob und welchen Platz der Mensch dort einnehmen könnte, um damit sorgsamer umzugehen, es besser und klüger zu verteilen und das, was es hergibt, zu verwalten.
Aber statt in Demut vor dieser Pracht zu versinken, entwickelt sich der Mensch rücksichtslos weiter und findet bei all seinem Fortschritt kein Mittelmaß.
Es will kein Ende nehmen, die Gier nach Wissen wird immer größer und dabei wird manches in Kauf genommen, was vielleicht besser nicht geschehen würde.
Immer mehr Rassen sind vom Aussterben bedroht, weil der Mensch ihnen den Lebensraum streitig macht, indem er sie entweder für sich in Besitz nimmt oder schlicht und ergreifend vernichtet, weil er sie zerstört, vergiftet und verstrahlt.
Da ist es wohl anzunehmen, daß die schönen, goldenen Tage immer seltener werden.
Doch solange sie da sind, sollte man nicht dumm sein und sie auch genießen, denn was auch immer geschehen mag, die Ursachen dafür sind längst vorhanden und so wird es kommen, wie es kommen muss.
Daran sollte man nicht verzagen und das was ist unbeschwert wahrnehmen, mit welcher Aussage wir in der letzten Strophe wieder aussteigen.

Ich aber bin klammheimlich und ganz alleine noch einmal in der ersten Strophe an einem schönen goldenen Herbstag auf die Berge gestiegen und sehe mir all dies noch einmal an.
Und ich denke mir so: "Ja, das ist wunderschön, doch es ist gerade gut genug für mich. Wäre es nur etwas schlechter, dann könnte ich nicht sein, zumindest nicht so, wie mir alles dies jetzt erscheint.
Mich hat ja sowieso keiner gefragt, ob ich diese Existenz haben will.
Nein, ich wurde ausgestattet mit einem Intellekt, der Angst, Schmerz und Leid zu ertragen hat, ich wurde der Unendlichkeit entrissen und zu einem zeitbegrenzten Wesen degradiert und muss nun zusehen, wie ich damit zurecht komme.
Ausgerüstet mit dem Fortpflanzungs- und dem Selbsterhaltungstrieb muss ich meine Aufgabe, dieses Leben hier, erfüllen.
Zudem bin ich neugierig, ich will möglichst alles wissen, auch über die Grenzen hinaus, weil ich ein metaphysisches Bedürfnis besitze, denn ausgerechnet mir wurde das Wissen über den Tod mitgegeben, der das einzig Sichere ist, was ich für die Zukunft vorhersagen kann.
Für all das soll ich dankbar sein, womöglich demütig, wie ein Knecht seinem Herren gegenüber, der ihm dienen muss?
Was ist denn schön, was ist denn ein goldenes Maß? War nicht jedes Zeitalter das Moderne?
Mich hat es heute hierhin verschlagen und was nach mir kommt, kann mir völlig gleichgültig sein, genau wie das, was vor mir war.
Das klingt egoistisch und selbstsüchtig?
Ja, aber genau so ist es, ob ich nun irgendwelchen hehren Idealen oder göttlichen Dogmen diene, es bleibt sich alles gleich, das ist nur zur Befriedigung meines eigenen Egos und entspringt der Sorge, all dies könne einmal ein Ende haben.
Nein, diese Welt ist nur für mich geschaffen und ich nehme davon in Besitz, was ich nur bekommen kann, genau wie alle anderen."
Und so steige ich aus der letzten Strophe doch wieder etwas gnädiger aus, weil ich ganz bestimmt nicht dumm sein werde und die Tage, die es noch zu genießen gibt, auch nutzen werde.
Ich bin wirklich unbesorgt und unbeschwert, denn alles kommt, wie es kommen muss, keine Frage.

Und die Menschen?
Sie haben es selbst in der Hand, ein jeder wird das tun, was er tun will.

Es gibt da nämlich noch das Märchen vom freien Willen, aber das ist eine andere Geschichte...


Gerne gelesen, nachgedacht und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.10.2011, 10:10   #3
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 4.893
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morgen falderwald,

der hinweis auf den weltbevölkerungszähler hat schon was gruseliges an sich, etwas, das man sich kaum vorstellen kann---------

aber es ist, wie es ist: wenn wir schon mal da sind, können wir nur versuchen, das beste daraus zu machen - jeder auf seine weise.

Zitat:
zu einem zeitbegrenzten Wesen degradiert
das allerdings kann man auch ganz anders sehen.

hab mir vor ein paar tagen die berühmte ansprache von steve jobs angehört:

"der tod ist das beste, was die natur erfunden hat: er räumt das alte weg und schafft platz für neues."

wenn das nicht lebensmut ist, dann gibts keinen.
ich denke, steve jobs hat bewiesen, dass man diesen mut zum leben haben kann - auch , ja gerade wegen der allgegenwart des todes!
diese akzeptanz der vergänglichkeit zeigt mir, dass er wirklich ein bedeutender mann war, nicht bloß ein erfinder, nein, auch ein philosoph.

er hätte keinen einzigen "goldenen tag" ungenützt verstreichen lassen.
(und wahrscheinlich wusste er auch die "dunkelgrauen" zu nützen)

was hätte jammern denn auch für einen sinn?

lebt!
das ist die botschaft, die das leben an uns hat.
etwas anderes gibt es nicht.

man kann das glas als halbvoll oder halbleer betrachten.
und je nachdem landet man dann in der zufriedenheit oder im missmut.

liebe grüße und danke für deine sehr ausführliche auseinandersetzung mit dem gedicht,
larin
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Alt 09.10.2011, 12:48   #4
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asphaltwaldwesen
 
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liebe larin,


dein text geht ganz tief an die wurzeln. und das auf wunderbar "leichte" weise, indem er sich eines naturbildes bedient.

und falderwald hat schon gold-richtig erkannt, dass hier die natur und die menschliche natur gemeint sind. in ihrer verflechtung, als metapher, aber auch - an der wurzel - auf der philosophischen ebene der wahrnehmung der welt durch den menschen.

der blick aufs "goldene" - erst der relativiert das erleben und unterteilt es für uns menschen in "schönes" bzw. "gutes" oder "schlechtes". uns widerfährt aber immer ein gesamtes: nämlich leben. als teil der natur sind wir leben und zugleich "passiert" uns leben.

unser verstand - segen und fluch zugleich - erkennt, was uns "gutttut", was sozusagen "glänzend" in unser erleben eingeht, und was uns das idealisierte lebensbild "verschmutzt". da das gold, dort der schmutz - und so werten wir.

dass das grundfalsch ist und wider die natur, wollen wir nicht wahrhaben.

"so golden sind die tage nur noch selten" sagt ja, dass wir dem ideal-trugbild aufsitzen, es gäbe im besten fall ausschließlich goldene tage und nur die wären "lohnend", gewinnbringend.

das schlechte, das uns widerfährt, würden wir gern ausradieren. oder erst gar nicht auf der edlen oberfläche finden müssen. leben ist aber nicht edel. es ist leben. es gibt kein "schön" ohne "hässlich". und kein "golden" ohne "dreckig". das eine könnte ohne das andere gar nicht als "wert" existieren.

dein text benennt die ausnahme des ausblendens einer bitteren wahrheit genau einmal. er nennt es "demut". demut bedeutet, seinen wahren platz in einem gefüge zu erkennen. nicht zu fordern, was keinen sinn macht. hinzunehmen, was ist. dankbar zu sein, dass es eben nicht nur das "dreckige" gibt. sondern auch goldenes im leben.

dass wir menschen den blick auf das goldene lenken und das andere ausblenden wollen, fußt auf unserem urbedürfnis dem leid zu entgehen. das ist unser hauptantrieb in all unserem handeln und denken. leid zu vermeiden, es auszublenden.

gold überstrahlt so gut. den blick nur dorthin zu richten, um den anderen teil der natur dadurch erträglich zu machen, ist also natürlich und richtig zugleich. denn wäre es umgekehrt, würden wir am eigenen dasein verzweifeln und vermutlich etwas wie "lebenswert" gar nicht kennen in unserem konzept von leben.

die zeile

Zitat:
Wir gier’n nach Licht, doch neben uns verblassen Sterne
birgt aus diesem blickwinkel für mich die wahrheit, dass wir immer werten und nie das gesamte sehen können. nicht einmal, wenn es ausschließlich aus glänzendem bestünde. wir brauchen etwas, das in der ferne strahlt - ein ideal, das uns unerreichbar bleibt.

um nicht das gefühl des stillstands des daseins haben zu müssen?

wie wäre das ideale verhältnis zwischen streben nach dem glänzenderen, otpimalen und hinnehmen dessen, was ist? an keinem dieser beiden pole wäre ein dasein ohne bewegungsrichtung nach "drüben" erträglich, behaupte ich.

die selbstlüge
Zitat:
erkennst du: Oh, wie wohlgeraten
ist doch die Welt!
ist lebenszweck. die welt ist, wie sie ist. und sie ist immer gerade so, wie wir sie sehen wollen. "wohlgeraten" - wir wollen daran glauben. und wenn sie uns nicht gerade ihre "andere seite" zeigt, können wir auch beweise dafür entdecken. und vermutlich ist sie auch wohlgeraten - nur anders, als wir es mit unserem konzept davon interpretieren wollen. wie würden wir uns moralisch entwickelt haben als rasse, wäre das leben bzw. dessen natur nicht so wohlgeraten im immerwährenden ausgleich aus goldenem und schmutzigem?


das eine ist die natur der welt und des platzes, den sie uns zuweist. das andere thema ist unsere natur. ohne sie könnten wir nicht sein. zugleich fühlen wir uns nur in-uns-ruhend, wenn wir diese natur zu kontrollieren vermögen (und ich rede hier nicht von der illusion des kontrollierten lebens!). das rechte maß leben können. diszipliniert mit dem gold umgehen, anstatt es einfach vorauszusetzen - nur, um dann bitter enttäuscht zu werden.

der mensch wird sich selbst wohl immer ein rätsel bleiben. zugleich entwickelt er die erstaunlichsten strategien, um das "auszuhalten".


danke für diesen schubbs in die philosophische ecke. dein text hat viel in bewegung gebracht bei mir. und diesen impulsen bin ich gern gefolgt.


lieber gruß,


fee

dein gedicht stößt dieses thema an. zumindest für mich.

Geändert von fee (09.10.2011 um 12:54 Uhr)
fee ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 18:20   #5
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Ort: wien
Beiträge: 4.893
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hallo liebe fee,
Zitat:
danke für diesen schubbs in die philosophische ecke. dein text hat viel in bewegung gebracht bei mir. und diesen impulsen bin ich gern gefolgt
dann staune ich jetzt erst mal drüber, was so ein kleines gedicht alles auslösen kann....

dieses "neben uns verblassen sterne" kann man auch ganz konkret verstehen:
die lichtverschmutzung greift immer mehr um sich und lässt dadurch den sternenhimmel verblassen. menschen, die in einer großstadt wohnen, können die sterne gar nicht mehr besonders gut wahrnehmen. sie werden regelrecht "ausgeblendet".
von der geräuschverschmutzung will ich gar nicht reden.

und dann sitzt man ein andermal auf einem berghang, hört das leise rauschen des windes in den gräsern, nimmt beim gehen das knacken der zweige unter den schuhsohlen wahr, spürt die unebenheit des weges, riecht eine luft, die angereichert ist von letzten blütendüften, schaut in die unverstellte weite einer atemberaubenden landschaft, lässt sich betören vom intensiven, wolkenlosen blau des himmels - wer da keine "goldgefühle" kriegt, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.........

ein herbstliches highlight halt!
man sollte es sich immer gut merken - denn die nebeltage werden schließlich auch noch kommen! (und wer sich dann nicht an die sonne erinnern kann, der wird zu nebelzeiten trübsinnig)

ich "fotografiere" mit gedichten. und dann betrachte ich sie und denke mir: guck mal,du hattest es richtig gut!

möge jeder goldsucher seinen "nugget" finden!
liebe grüße,
larin
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
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