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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 20.12.2012, 18:01   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Die Naive

Sie wurde nie an seinem Wollen mündig,
die schlanke Seele voller Übermaß,
an der er satt sich ohne Reue fraß,
sooft er hungrig ward und ihrer fündig.

Und jede seiner Gesten sagte: Sündig
sei in Gedanken jeder schlichte Spaß,
solange sie an seiner Seite saß,
mit aller Lust in seinem Drange bündig.

Warum nur wollte sie der nackten Schlange
zu Willen sein, dem lüsternen Verzehrer?
Er sog an ihr und hinterließ sie leerer,

und niemals schien sie matt zu sein und bange!
Doch jeden Tag erkannte sie sich schwerer
in ihres Singens Widerhall und Klange.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 21.12.2012, 16:27   #2
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Erich,

sehr beeindruckend geschrieben. Eine furchtbare Beziehung. Ich bin mir nicht klar, ob naiv wirklich trifft. Naiv heißt doch nicht, dass man die Realität nicht sehen kann. Vielleicht verstehe ich aber auch nicht ganz, was du im Sinn hast.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 21.12.2012, 19:23   #3
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber eKy,

seit gestern bin ich bei der "Naiven". Es stimmt, was Thomas andeutet. Die Begriffserklärung für "NAIV" ist breit gefächert.
Darum beeindruckt auch mich dein Werk im doppelten Sinne.

Als lyrisches Werk ohnehin, aber darüber muss ich mich nicht mehr auslassen. Dir schreibt ein beeindruckter und treuer Fan.

Es ist die Bildfolge, die beim Lesen deines Sonetts entsteht.
Wenn sie nie mündig wurde, wie sollte sie die Wirklichkeit erkennen?
Sie konnte sich nur ergeben.
Da sie nichts anderes kannte, wurde sie nie matt und bange. Ob daraus nun die "Genialität der Naivität" zu folgern ist oder eine vorurteilsfreie, offene, kindliche "Treue", bleibt der Vorstellungskraft des Lesers überlassen.
Ja sogar die letzte Strophe fällt kein Urteil. Es bleiben Widerhall und Klang (keine Klage) - ich sah eine Schwangere, die wieder ihrer genialen Naivität treu bleibt.

Der Leser bildet sich ein Urteil, ob der "Richtigkeit" und erkennt die Tiefe deines Sonetts: Es ist so, ob oft, meist oder immer seltener sei dahingestellt.
Denn sie, selbst befragt, würde warscheinlich auf diese Gedankengänge gar nicht kommen - und er schon gar nicht.

Absolut gut durchdacht und die Wirklichkeit wiedergespiegelt.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 21.12.2012, 19:51   #4
Erich Kykal
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Hi, Thomas!

Das Gedicht entstand, weil ich mich (aufgrund eines anderen Textes) an eine Episode aus meiner Vergangenheit und Schulzeit erinnerte: Ein (von mir "verehrtes") Mädel warf sich einem stupiden Macho an den Hals und himmelte ihn distanzlos an, obwohl jeder deutlich sehen konnte, dass der nur an Sex interessiert war. Ich, der intelligente, tiefsinnige Typ (leider klein, fett und schüchtern), hatte keinerlei Chancen. Im Nachhinein gesehen wäre es mit mir natürlich auch nicht lange gut gegangen, aber ein (damals) Spätpubertierender macht sich derlei eher weniger bewusst... In dem Alter sind wir wohl ALLE naiv!


Hi, Dana!

Ich freue mich immer schon auf deine Kommis, genießt meine unersättliche Eitelkeit doch sündigerweise die Lobesbekundungen solcher "Fans" ausdermaßen!

In diesem Fall (unter Jugendlichen) sorgten gewiss mangelnde Lebenserfahrung und latenter Hormonstau für diesbezügliche Verscherungen und Irrtümer - und tun das mit Gewissheit noch heute (und nicht nur dort!)!
Die Naivität solcher drastischen Lebensfehlentscheidungen ist aber für alle Altersgruppen gültig, denn wie heißt es so richtig: Wo die Liebe hinfällt....


Vielen Dank für eure Gedanken!

LG, eKy
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Alt 21.12.2012, 20:23   #5
Dana
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Lieber eKy,

dann ist dir aber nicht bewusst, dass dir aus einem selbst erfahrenen Schmerz (als Kerl) die Verdichtung des Leids auf der Gegenseite gelungen ist.
(Schade, dass du angeblich nüchternes Menschenkind das niemals zugibst, vielleicht darum, weil du ein Kerl bist.)

Diese "angeblich Naiven" sind so, weil sie "nur" Frauen sind. Man erlebt es bis heute, dass es gar nicht gut kommt, wenn sich eine Naive aufbäumt.
Tut sie es, heißt es doch immer: "Du hast es doch so gewollt!"
Woher sollte sie wissen, was sie wollte - ebenso der "Nimmersatte", der nur besitzen wollte.

Nur zur Versöhnung: Ich weiß, dass das heute nicht mehr die Regel ist. Es gibt immer mehr gleichberechtigt Liebende - doch deshalb werden die anderen nicht weniger. Dafür sind die Weltenkinder immer noch zu verschieden.

Liebe Grüße
Dana
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(Frederike Frei)
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Alt 21.12.2012, 20:29   #6
Erich Kykal
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Aus der Sicht der Frau hatte ich - aus verständlichen Gründen - das Gedicht noch gar nicht betrachtet. Schön, dass du mir diese Facette aufgezeigt hast.

LG, eKy
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Alt 21.12.2012, 22:36   #7
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Servus Erich,

wie schön, daß du mit deiner letzten Antwort an Dana meine ganz eigenen Überlegungen zu Text und Kommentaren bestätigt hast.

Von wegen aus der Sicht der Frau, sondern aus der betrachtenden Sicht des verzehrenden Mannes ist dieses Sonett geschrieben.

Da steht ein gereifter Dichter und betrachtet einen kleinen, fetten und schüchternen Jungen mit hellem Geist, wie ihm von einem dümmlichen Typen mit Machogehabe ein nettes Mädchen vor der Nase weggeschnappt wird und fragt sich nach dem Warum.

Tja, warum wohl?
Das Imponiergehabe, dieses erste Zeichen von noch nicht verkraftetem Erwachsenwerden, schau her Baby, ich kann dir Dinge zeigen, von denen du noch gar keine Ahnung hast, machen auf viele Mädels in einem bestimmten Alter Eindruck.
Vielleicht sieht der Typ auch noch gut aus, hat einen schönen Körper und somit die Attribute eines "Mannes" und das wirkt anziehend, weil stark und gesund.
Vielleicht wollte sie es auch einfach nur wissen und was hätte der schüchterne Intellektuelle ihr auch bieten können?
Hat er es ihr gesagt, wohl kaum, wenn er so schüchtern war.

Der Macho war also gar nicht so dumm, zumindest aus seiner Sicht, denn er hat bekommen, was er wollte.

Und sie hat auch bekommen, was sie verdiente, denn sie bevorzugte ihn ja auch.

Ein kleines, fettes und schüchternes Mädchen mit Intellekt hätte der Macho wahrscheinlich niemals angesprochen und wenn doch, hätte er sie nicht bekommen.

Ich halte es da mit Kurt Tucholsky und seinem Text Ideal und Wirklichkeit

So ist das Leben.

Trotzdem ein schönes Sonett, denn manchmal fragt man sich zu Recht, ob das Leben nicht zum größten Teil aus lauter Ungerechtigkeiten besteht.
Zumindest aus der eigenen individuellen Sicht.

Und wem ist nicht Gleiches oder Ähnliches auch schon passiert?

Dafür darf der Intellektuelle dann hinterher die "Naive" in seiner Dichtung besingen.
Das hat dann wenigstens eine Weile Bestand, nicht wahr?


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 22.12.2012, 11:47   #8
Thomas
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Hallo Erich,

ich glaube nun zu verstehen, was du meinst. Es ist die unschuldige Naivität, die anziehend und entwaffnend wirkt, die jedoch, wie der Duft einer Blüte, nie wieder kommt, wenn sie verloren ging. Das klingt in der Schlusszeile ja an.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 22.12.2012, 14:09   #9
Erich Kykal
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Hi, Faldi!

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich auf das Thema kam! Ich spürte das Wallen der Schreiblust in mir und wollte ein sprachlich besonders gut gefeiltes und perfektes Sonett schreiben - und Schwupps - war diese Erinnerung plus dem vernichtenden Gefühl dazu in mir da und trieb mir die Zeilen aus der Feder!

Heute berührt mich diese Szene nicht mehr, sehe ich doch Vergleichbares fast täglich bei mir in der Schule, von verliebtem Händchenhalten bis hin zum Rotz und Wasser heulenden Mädchen, das vergeblich auf seine Tage wartet.
Die Erinnerung an meine damalige Seelenpein amüsiert mich heute eher, ist doch der, welcher ich damals war, so unendlich weit schon von jenem entfernt, der ich heute bin. Und doch...man ertappt sich dabei, sich nach dieser Tiefe des Gefühlten zurückzusehnen, sei es auch noch so peinvoll gewesen: Allein überhaupt wieder etwas fühlen zu können, ist die Gedankenreise wert!


Hi, Thomas!

Was wir verlieren, wissen wir erst durch dessen Mangel und die damit einhergehende Verschlechterung der Lebensumstände zu schätzen. Junge Menschen glauben sich unverwundbar - bis sie bluten! Da Erfahrungen nicht übertragbar sind, muss jede neue Generation es "auf die harte Tour" lernen.
Wer Glück hat, erfährt zum Ausgleich für den Verlust der Unschuld, der Naivität etwas Lebensreife und Weisheit. Aber manche Menschen scheinen ein lebenslanges "Talent" im Aussuchen der immer und ewig falschen Partner zu haben! Ist das nun Masochismus oder pure Dummheit?


LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (22.12.2012 um 14:16 Uhr)
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