16.02.2013, 17:05 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Trauer (Haiku Nr.1)
Trauer (Haiku Nr.1)
Nun bedeckt der Schnee frisch gepflanzte Herbstblumen auf dem Urnengrab. alte Version Sacht bedeckt der Schnee frisch gepflanzte Herbstblumen auf dem Urnengrab. Kurzform SCHNEE BEDECKT FRISCHE BLUMEN AUF DEM GRAB – Vorschlag von Lipwig SCHNEE BEDECKT FRISCHE BLUMEN AUF DEM GRAB – P.S.: nach langem Zögern und einiger Lektüre wage ich mich erstmals an ein Haiku, sicherheitshalber in der 5-7-5-Silbenform, obwohl diese Form (im Vergleich zur japanischen Urform) vermutlich zu lang ist. Ich füge noch eine Kurzform des Textes bei und bin gespannt, was die Kenner der Materie dazu sagen.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (06.03.2013 um 10:05 Uhr) |
17.02.2013, 10:23 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Lipwig,
vielen Dank für dein Urteil. Ich glaube du hast Recht. Das Ding ist wahrscheinlich gar kein Haiku, sondern ein aus der beschäftigung mit der Form entstandenes Etwas. Aber was ist Haiku überhaupt? Ich werde auf der Grundlage der Kurzform fortfahren und das mit den 17 Silben vergessen. Liebe Grüße Thomas
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17.02.2013, 11:55 | #3 |
ADäquat
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Lieber Thomas,
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17.02.2013, 17:49 | #4 |
asphaltwaldwesen
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Ich denke, letztlich filtert sich ohnehin jeder selbst die ihm wichtige Essenz für Haiku aus all den qualitativ unterschiedlichen verfügbaren "Das ist Haiku und so muss es sein"-Quellen.
Lieber Thomas, ich freue mich jedenfalls sehr, dass du dieses Terrain nun doch betreten hast! Version 1 ist mir persönlich auch zu episch und auch klanglich etwas sperrig - ist haiku doch in erster Linie nach meinem Verständnis ein "eingefangener Moment" - eine Momentaufnahme, die ein Empfinden, einen Impuls in sich einzufangen versucht. Das möglichst objektiv seitens des Autors. Es geht um eine Moment-Wahrnehmung, die - wie auch in der japanischen Pinselmalerei und Kalligraphie üblich - nach reiflicher Kontemplation mit möglichst wenigen, auf Anhieb sitzenden Pinselstrichen auf Papier gebannt wird. Langes Herumfeilen nach einem Erstentwurf ist definitiv der falsche Weg, langes "Vorspüren" vor dem Schreiben schon eher am Kern der Sache. Neue Versuche auf jeden Fall besser als am schon Vorhandenen herumzudoktern. Haiku thematisiert die dialektische Begegnung des Dichters mit der Natur im Sinne einer Meditation. Sehr schön wird es m.E. hier erklärt: w w w.japanaesthetik.de/?page_id=166 Insofern gefällt mir Variante 2 gar nicht schlecht. Vor allem, weil hier die Dynamik schon näher an dem ist, was ich an haiku so schätze. Allerdings fehlt mir noch ein wenig die spezielle Momentaufnahme. Der Schnee bzw. die Urne sind ja noch eine Viertelstunde später auch in dem Zustand wie grade beschrieben... fein aber die eindeutige Zuordenbarkeit zu einer Jahreszeit (essentiell für haiku!)! Die beste Methode übrigens, haiku auf die Spur zu kommen: haiku lesen. Und zwar von Quellen, die anerkannt sind. Zum Beispiel gute Übersetzungen original alter haiku aus der Zeit von Basho und Co. Auch von Japanern anerkannte haiku-Autoren. Imma von Bodmershoff zum Beispiel. Man entwickelt eher ein Gespür für haiku, indem man viele liest, als indem man viele selbst "verbricht" LG, selbsterklärte-expertIn-fee
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17.02.2013, 21:49 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Lipwig,
ich finde deinen Vorschlag gut und werde ihn an die Spitze stellen. Liebe Grüße Thomas Hallo Chavali, es freut mich, dass du meinen Versuch bemerkt hast. Den Link kannte ich schon, trotzdem danke für den Hinweis. Dass du eher nicht lustige Texte bevorzugst wusste ich nicht. Da muss ich mich in Zukunft zusammenreißen, denn ziemlich oft kommt bei mir Quatsch heraus. Liebe Grüße Thomas Hallo fee, Ja die erste Version was ein Fehler, zu dem ich aber stehe. Ich habe einfach nicht den Mut gehabt die 17-Silben-Form zu ignorieren. Gute Lehre! Den Japanaethetik-Link werde ich studieren, Bodmershoff kenne ich und finde Sie sehr lehrreich, Sie hatte über Ihren Mann wohl auch eine gute Kenntnis der Japanischen Kultur. Dein Rat klassische Originale zu studieren, ist natürlich genau das richtige. Ich werde dran bleiben. Dem, was du über die Momentaufnahme sagst, kann ich nur zustimmen. Ich habe deswegen den Vorschlag von Lipwig aufgenommen, da es statischer ist, und deswegen mehr von diesem Charakter einer Momentaufnahme hat. Ganz besonders interessant finde ich deinen Bezug zu den "Pinselstrich-Schriftzeichen". Ich vermute nämlich, dass die Lyrik in Bildschriftsprachen (wie im Chinesischen und Japanischen) tatsächlich eine andre Qualität hat, als bei uns, da nicht (wie bei uns) nur musikalische Elemente wesentlich sind, sondern die malerischen Elemente zusätzlich eine große Rolle spielen. Es wäre schön bei Gelegenheit darüber genaueres zu erfahren. Liebe Grüße Thomas
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23.02.2013, 12:12 | #6 |
Lyrische Emotion
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Moin Thomas,
auch wenn ich die "zeitgemäßen" Haikus nicht besonders mag, so kann diese Form durchaus ihren Reiz besitzen. Ein Haiku muss m. E. nachhallen. Er ist eine Momentbeschreibung, eine kurze Betrachtung ur- oder grundsätzlicher Dinge und sollte möglichst frei von jeglicher Individualität gehalten werden, sofern so etwas überhaupt möglich ist. Einer meiner Lieblingsdichter für Haikus ist neben Matsuo Bashō der viel modernere Masaoka Shiki (1867 - 1902): Unohana o megakete kitaka hototogisu Es scheint, er zielte auf die Deutzienblüten – der Kleine Kuckuck. Shiki forderte vom Haiku realistische Beschreibung wirklichen Geschehens in ungestelzter Sprache. Auf Entenflügel der zarte Schnee sich häuft; oh, diese Stille. Oh, welche Kühle: Es läuft die Abendflut auf und Fische springen. Der (oder das) Haiku sollte also die Dinge in ihrem "So-Sein" erscheinen lassen. Seine Grundstimmung sollte "zu nichts gedrängt sein" und "niemandig" die Welt in sich spiegeln, denn er ist kein Ausdruck der menschlichen Seele, sondern eher als Ansicht des "Niemandes" zu interpretieren. Hier drückt sich kein Lyrisches Ich aus, es ist also keine Innerlichkeit auszumachen. Nur so können die Dinge des Haikus zu Metaphern oder Symbolen werden. Bei deinem Haiku gefällt mir eigentlich die längere Version besser. Du müsstest eigentlich nur das "sacht" in der ersten Zeile austauschen, denn hier ist eine persönliche Bewertung enthalten, die dem Haiku nicht gut zu Gesicht steht. Gerne gelesen und kommentiert.... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
25.02.2013, 20:19 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Falderwald,
vielen Dank für deine interessanten und hilfreichen Erklärungen zum Haiku. Was du konkret zu dem "sacht" sagst stimmt, es müsste wegzubringen sein. Da der Faden immer interessanter wird, möchte ich etwas genauer erklären, wie ich zu dem Ding gekommen bin. Einerseits denke ich, dass das Haiku-Gedicht sehr eng mit der Japanischen Kultur verbunden ist. Man kann es wahrscheinlich nicht gut nachzumachen. Andererseits versuche ich herauszufinden, was diese Form so anziehend macht, dass sich in aller Welt Menschen damit beschäftigen. Vielleicht kann man etwas davon lernen, was sich in unsere Sprache transportieren lässt. In diesem Zusammenhang ist mir die 5-7-5-Silben-Regel als hinderlich aufgestoßen. Aber was macht die Form des Haikus wirklich aus? Als ich dieser Frage nachging, stieß ich auf eine interessante Untersuchung: "From 5-7-5 to 8-8-8: An Investigation of Japanese Haiku / Metrics and Implications for English Haiku / RICHARD GILBERT and JUDY YONEOKA / Journal of the Foreign Language Education Center.(2000)." Diese Studie hat empirisch erforscht, wie Haikus gelesen warden, und kommt zu dem Schluss, dass einschließlich der Pausen eine in gelichmäßig in drei Teile geteilte Form entsteht, also 8-8-8. Nun habe ich versucht entsprechende Formen im Deutschen zu finden, welche kürzer als 17 Silben sind (17 japanische Moren sollen angeblich den Sinngehalt von etwa 11 Silben im Deutschen tragen können). so kam ich auf: X x X _ X x X x X x X _ Dann habe ich ein wenig mit Vokalen und Prosodie gespielt. So kam die Kurzversion zustande. Dann habe ich einen Schreck bekommen und noch schnell die Langversion gemacht, wobei ich jedoch das gleiche Prinzip beibehalten habe. Ich habe sehr stark abstrahiert und vielleicht war der Hinweis auf den Haiku sogar hinderlich, aber dann hätte es nicht diese interessante Diskussion gegeben, sie sich hoffentlich noch fortsetzten wird. Liebe Grüße Thomas
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