20.06.2015, 22:42 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Spannung
Und wieder steigt die Spannung...
Trommeln dröhnen durch die schwüle Luft. Statt üblicher Verbannung ins Loch, holt man den Gräuel aus der Gruft. Und daher folgen Ratten, Krähen, Schaben dem Ruf der Richter in das Stadion. Sie wollen sich an Tod und Qualen laben: Man richtet einen - hat der nun davon. Wild aufgeregt strebt alles in die Ränge. Noch ist die Bühne leer, die Schwüle schwillt. Gleich wird der Delinquent, an Armen Stränge, hereingeführt, entfesselt, dann gekillt. Da fliegen schon Tomaten, Eier ... Gurken? Auch Worte fliegen, Wetten sind gemacht. Das Publikum, wohl selbst ein Haufen Schurken, hat im Gepäck nur Häme mitgebracht. Und weiter steigt die Spannung... Augen schießen Blitze durch die Luft. Es schreit im Chor: "Entmannung! Kastriert das Monster endlich, diesen Schuft!" Die Hände sind entbunden, gegenüber erwartet ihn schon eine kleine Schar. Sie schauen waffenstarrend zu ihm rüber, besiegeln bald sein Schicksal, das ist klar. Allein steht er, blickt fest in ihre Runde. Wie frech er doch, der Sünder, sich hier gibt. Nur Hass und Geifer quellen aus dem Munde der Menge, die hier niemandem vergibt. Ringsum ist alles Eisen vollgesogen mit statisch aufgeladner Energie. An zwei der Stützen, die schon leicht verbogen, flammt Elmsfeuer entlang - das gab's noch nie! Unendlich groß die Spannung... Drähte halten Segel in der Luft. Metallisch ächzt Bespannung. Und durch die Szene wabert Todes-Duft. Es riecht nach Sterben, Schweiß und schalem Schauder. Das Henkergrüppchen zieht auf jenen zu. Die Augen aller wandern auf den Bau, der die ganze Spannung löst in einem Nu. Mit einem ohrensprengend-lauten Knallen zerreißen zwei der Seile, die das Dach bis dahin kunstvoll hinderten am Fallen. Jetzt gibt es, stur zum Boden strebend, nach. Die Drähte ziehen surrend ihre Bahnen, halbieren ein paar Leute, eine Wand, und noch vier Masten, die, beflaggt mit Fahnen, sehr hübsch aussahen, wie hier jeder fand. So schnell verpufft die Spannung... Staub und Fliegen füllen nur die Luft, gepaart mit einer Ahnung: Schon bald ist jeder tot, der leis noch ruft. Die Bühne, unter schwerem Stoff begraben, hat ihre Pflicht erfüllt, das Leben nahm von diesem Platz Reißaus, die Henker starben so, wie der Delinquent zu Tode kam. Wer fliehen konnte, ist vom Ort geflohen, doch viele konnten nicht, denn wer geduckt den Drähten wollt entgehn, hat unter rohen Stampediern sein Leben ausgezuckt. Das Blut läuft von den Rängen hin zur Mitte und färbt den weißen Stoff der Segel braun. In Kürze kommen, denn so ist es Sitte, die Horden, dies Spektakel anzuschaun. |
21.06.2015, 21:17 | #2 |
Lyrische Emotion
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Hallo Stachel,
tja, Pech gehabt, würde ich sagen, wer anderen eine Grube gräbt, ist selbst ein Schwein, oder so... Die Sensationsgier und die Geilheit nach den Leiden anderer war für viele Epochen und Menschen schon immer etwas besonderes, deshalb fällt es auch nicht schwer, beim Lesen des Textes eine gewisse Schadenfreude zu empfinden. Da können wir nur hoffen, dass uns nicht eines Tages unser Fernseher mal gewaltig um die Ohren fliegt, während wir in der Tagesschau das neueste Bombenattentat anschauen. Aufgefallen ist mir, dass in den vierzeiligen Strophen jeweils die zweiten Zeilen im Trochäus sind, während alle anderen Zeilen des Textes jambisch daherkommen. Aber warum nicht, wenn es System hat. Metrisch etwas schwierig finde ich die folgende Zeile: flammt Elmsfeuer entlang - das gab's noch nie! Man kann das in einen jambischen Rhythmus bringen, aber ich würde das so nicht verwenden, weil es doch arg gezwungen klingt, "feuer" auf der zweiten Silbe anzuheben, auch wenn es in der alternierenden Metrik keine drei unbetonten Silben hintereinander gibt und in einem solchen Fall die mittlere leicht angehoben wird. Manchmal ein wenig leseflusshemmend sind die unterschiedlichen Zeilenlängen, was aber auch beim Lesen noch zu kompensieren ist. Aber das sind nur "Erdnüsse", alles in allem hat mir deine kleine Ballade gut gefallen. Gern gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
21.06.2015, 21:44 | #3 |
TENEBRAE
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Hi, Stachel!
Ich hoffe, du vergibst mir, wenn ich sage, dass ich von diesem Werk weniger angetan bin. Teilweise etwas pathetisch, teilweise dagegen zu flapsig-leger ("hat der nun davon", "gekillt", "rüber", "das ist klar") kommen da manche Wendungen und Begriffe daher - das ergibt kein einheitliches lyrisches Stilbild. Auch kann ich den Inhalt nicht recht an einem Bild festmachen: Handelt es sich um eine öffentliche Hinrichtung in der Antike oder so - oder um eine solche in einem zeitnahen extrem-islamistischen Staat? (Wer sonst führt öffentliche Hinrichtungen in Stadien durch???) Warum wird - offenbar zusätzlich zur Hinrichtung - auch noch Kastration verlangt? Das eigentliche Verbrechen des Delinquenten bleibt im Dunkeln, was angesichts der Reaktion der Menge unbefriedigend ist - man wüsste gern Bescheid, um einschätzen zu können, wie gerechtfertigt das Wüten des Mobs sein mag, auch wenn es eine falsche Beschuldigung sein mag. Da ich nicht an "höhere Gerechtigkeit" glaube, ist der Einsturz des Daches für mich ein Zufall, keine "gerechte Strafe" für die Johler und Gaffer, das ganze sensations- und blutgierige Gesindel. Hätte auch bei einem Fussballspiel passieren können. So bleibt das Geschehen für mich wenig überzeugend - nur der letzte Hinweis darauf, dass der Tod der Gaffer nun selbst Gaffer anzieht, ist originell! Es beweist, dass die Dummheit und die Oberflächlichkeit des Menschen wesensimmanent und unausrottbar sind! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (21.06.2015 um 23:55 Uhr) |
23.06.2015, 10:39 | #4 | |||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Falderwald,
vielen Dank für die Anregungen und das Lob. Ich freue mich, dass dir die Ballade zugesagt hat. Zitat:
Die ersten drei Kurzstrophen behandeln jeweils einen anderen Aspekt von "Spannung", die letzte leitet schließlich die "Entspannung" ein. Zitat:
Ich bekenne auch, dass mir bei längeren Gedichten schon mal der Inhalt wichtiger wird, als der Rhythmus. Besonders bemerkbar macht es sich dann bei meinen Sonettenkränzen. Nichtsdestotrotz nehme ich die Anregung gerne auf, vielleicht gelingt es mir ja noch etwas "gerader". Zitat:
Freundliche Grüße vom Stachel Geändert von Stachel (23.06.2015 um 10:43 Uhr) |
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23.06.2015, 11:12 | #5 | ||||||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Zitat:
es gibt nichts zu vergeben. Ich freue mich sehr über ausführliche Gedanken und Anmerkungen, und zwar auch ganz ausdrücklich über solche, die meine Meinung nicht teilen. Du "zwingst" mich dazu, mich zu erklären, was ich übrigens sehr gerne tue. Wenn ich das nicht kann, habe ich einen gravierenden Fehler gemacht und muss überarbeiten. Ob eine Erklärung ausreichend erscheint, muss ich dann wiederum an den Reaktionen ablesen und dann letztendlich mit mir selbst ausmachen. Zitat:
Je mehr du von mir liest, desto einheitlicher und eindeutiger wird dir der Stil (hoffentlich) vorkommen. Mir fällt übrigens ein "Mischmasch" nicht auf, aber ich kenne mich ja auch nicht anders. Zitat:
Zitat:
Wer das unbedingt möchte, kann über die Kastration etwas Ableiten, denn die wird üblicherweise heutzutage vor allem bei Sexualdelikten, insbesondere mit Kindern, gefordert. Für mich ist die Entmannung aber an dieser Stelle eine weitere Steigerung in der Missachtung der Menschenwürde. Zitat:
Zitat:
Was bin ich doch froh, dass ich die Hoffnung hege, so eine Utopie nicht erleben zu müssen. Die Frage könnte ich nämlich nicht so eindeutig beantworten. Freundliche Grüße vom Stachel |
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23.06.2015, 16:14 | #6 |
TENEBRAE
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HI, Stachel!
Vielen Dank für die Aufschlüsselung deiner Motive und Gedanken. Was du beschreibst, ist übrigens eben KEINE Utopie: In Ländern wie Afghanistan (unter den Taliban) oder zeitnah im IS wurden und werden Menschen in Stadien (Sport oder Shows - oder überhaupt ALLES, was Spass macht - gibt es dort nicht mehr, und irgendwie muss man die Dinger ja nutzen, oder?) öffentlich hingerichtet: Enthauptung per Messer, Durchschneiden der Kehle oder Steinigung (zB für untreue Eheweiber. Bei den Männern gilt das Fremdgehen in jenen Kulturkreisen übrigens eher als "Kavaliersdelikt" und wird kaum je - milde! - per Geldstrafe geahndet!). Auch andere unheimlich pädagogische und menschenfreundliche Strafen werden dort ausgeführt: Dieben hackt man beispielsweise die Hand ab (können gern auch mal kleine Kinder sein!), Gotteslästerer (darunter fällt jede auch nur leiseste Kritik oder alles, was auch nur im entferntesten so ausgelegt werden kann) werden blutig ausgepeitscht - alles brav danach, wie es in der mittelalterlichen "Scharia" steht! Und du glaubst tatsächlich, dass ich menschliche Dummheit und Oberflächlichkeit mit "Brot und Spielen" gleichsetze??? - Ich rede von der Dummheit derer, die das veranstalten oder tatsächlich okay finden! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (23.06.2015 um 16:19 Uhr) |
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