29.11.2015, 16:15 | #1 |
geehrt und gefiedert
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Leihweise
Du willst nach meinem kalten Herzen streben,
Damit die kleine Welt für dich erheben. Dir werde ich es wohl nur kurz verleihen, Jedoch muss ich mit ihm für immer leben - Drum ist mir große Vorsicht aufgezwungen. Du müsstest meinen Schaden nicht beheben, Dein Herz wird nicht in tausend Teile brechen Du bräuchtest es nicht wieder mühsam kleben. So viele Scherben musste ich schon kitten. Doch solltest du nach meiner Freude streben, Und es mit deiner heißen Liebe füllen - Dann könnte ich es dir auch übergeben. Geändert von Nachteule (28.12.2015 um 15:48 Uhr) |
30.11.2015, 22:41 | #2 |
Kiwifrüchtchen
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Hey Nachteuler,
du hast dir ein ebenso schönes wie auch ergiebigesThema gewählt, und ich bin ein wenig enttäuscht, dass du nicht mehr daraus gemacht hast. Zumal ich weiß, dass du dazu sehr wohl imstande bist. Es fühlt sich für mich einfach kalt und nüchtern an. Wenn nicht das Wort "Herz" in Zeile1 stünde, könnt man meinen, es wär von einem zu reparierenden Rasenmäher die Rede und man ist grad dabei, über die Bezahlung zu verhandeln. Klar kannst du jetzt sagen, dass des LIs Herz eben kalt ist und seine Worte an das LyDu ja eine Warnung und Aufforderung sind, die Finger davon zu lassen. Aber dann fehlt mir immer noch zumindest ein Anflug von Wehmut, Traurigkeit, Schmerz, Abgeklärtheit, von mir aus auch Schroffheit. Einfach etwas, was mir als Leser etwas zum Fühlen gibt. Die Aufgabe ist natürlich erfüllt, wirklich schade ist, dass du so ein unerschöpfliches Thema zur Formsache gemacht hast. Handwerk: Viel zu viele Einsilber. Und dieses Stakkato mag wohl dazu beitragen, dass nirgendwo auch nur ein Anflug von Emotion aufkommt. Sorry, Euler, dieser Text konnte mich leider nicht überzeugen. HG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (30.11.2015 um 22:45 Uhr) |
30.11.2015, 23:45 | #3 |
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Hallo Nachteule, |
01.12.2015, 17:54 | #4 |
ADäquat
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Hallo Nachteule,
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06.12.2015, 17:17 | #5 |
Lyrische Emotion
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Moin Nachteule,
der Protagonist scheint einige Enttäuschungen erlebt zu haben, die sein Herz erkalten ließen und nun dementsprechende Vorsicht walten lassen zu wollen, auch wenn er nicht gänzlich abgeneigt ist, wieder jemanden in sein Herz zu lassen. Deutlich aber ist die Angst vor einer neuerlichen Pleite herauszulesen, falls er dies tut, denn er ist zögerlich und zweifelnd, worauf er eindeutig hinweist. Allerdings sieht er auch eine Chance, wenn dieser jemand es wirklich ehrlich meint. Fazit: Der Protagonist ist eigentlich noch nicht für eine neue Beziehung bereit, sieht aber eine Chance, das Vertrauen, zu dem er noch nicht in der Lage ist, mit der Zeit wieder aufzubauen. Den ganzen Text durchzieht das Dilemma des Selbstzweifels wie ein roter Faden. Zur Form wurden schon einige Anmerkungen gemacht. Ich hätte konkret hier noch vier vorzubringen. 1. Ist die vierte Zeile mit Absicht trochäisch oder hast du nur eine Silbe vergessen? (Einen "Hebungsprall" zwischen "ich" und "muss" kann ich beim besten Willen nicht hinbekommen.) Z4: Doch ich muss mit ihm für immer leben - XxXxXxXxXx Meines Erachtens passt das nicht so gut in den Fließtext. Vielleicht: Ich muss mit ihm jedoch für immer leben = xXxXxXxXxXx 2. Die Formulierung in der achten Zeile mag mir überhaupt nicht gefallen, ich finde sie nicht nur unglücklich, sondern sogar falsch. Um den Gesamtzusammenhang nicht zu zerstören, zitiere ich sie im ganzen Satz: Z6: Du müsstest meinen Schaden nicht beheben, Z7: Dein Herz wird nicht in tausend Teile brechen Z8: Und brauchst es dann nicht leidend mühsam kleben. Das geht so nicht, denn wir haben hier drei fast gleichwertige Sätze, die durch Komma und "und" voneinander getrennt werden. Im dritten Satz aber fehlt das Subjekt, der kann sich nicht mehr auf das "Du" des ersten Satzes berufen, vor allem, weil sich das "kleben" ja nicht mehr auf den Schaden bezieht, sondern auf das "Herz" ("es") aus dem zweiten Satz. Ich würde Z6 mit einem Punkt abschließen und Z7 + Z8 zu einer selbständigen Einheit ändern. Zudem hört sich "brauchst" in diesem Zusammenhang ziemlich umgangssprachlich an und "leidend mühsam kleben" auch sehr konstruiert. Vielleicht: Drum ist mir große Vorsicht aufgezwungen, den Schaden könntest du mir nicht beheben. Dein Herz wird nicht in tausend Teile brechen, du müsstest es nicht wieder mühsam kleben. 3. Die Doppelung von "So" am Anfang der neunten und elften Zeile finde ich auch nicht besonders glücklich. Und wenn alle Zeilen schon auf Verben enden, dann sollte es die elfte auch, sonst ergibt das kein authentisches Bild. Vielleicht: So viele Scherben musste ich schon kitten. Doch solltest du nach meiner Freude streben Und es mit deiner heißen Liebe füllen, Dann könnte ich es dir auch übergeben. 4. Ich habe mich jetzt eine Weile ausgiebig mit dieser Form beschäftigt. Dabei habe ich viele Texte und Übersetzungen gefunden, die im Block verfasst wurden und eben nicht in zweizweiligen Strophen. Ich finde es auch ziemlich sinnlos, zweizeilige Strophen zu verfassen, die teilweise mit einem Komma oder Gedankenstrich voneinander getrennt sind. Allerdings wäre diese Hürde mit den o.a. Vorschlägen auch genommen: Du willst nach meinem kalten Herzen streben, Damit die kleine Welt für dich erheben. Dir werde ich es wohl nur kurz verleihen, Ich muss mit ihm jedoch für immer leben. Drum ist mir große Vorsicht aufgezwungen, Den Schaden könntest du mir nicht beheben. Dein Herz wird nicht in tausend Teile brechen, Du müsstest es nicht wieder mühsam kleben. So viele Scherben musste ich schon kitten. Doch solltest du nach meiner Freude streben Und es mit deiner heißen Liebe füllen, Dann könnte ich es dir auch übergeben. Bei einer Umsetzung in dieser Art hättest du ein sehr ansprechendes Ghasel, denn die Idee dahinter hat mir gefallen, ich konnte das sogar sehr gut nachvollziehen. Gern gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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06.12.2015, 17:32 | #6 | |
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Hallo nochmal,
@Falderwald Zitat:
"Doch ich muss weiter mit ihm leben" xXxXxXxXx Gruß Bodo |
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06.12.2015, 18:36 | #7 |
Lyrische Emotion
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Moin Bodo,
ich weiß, wie du das mit dem betonten "ich" meinst, aber das spielt hier kaum eine Rolle bei dieser Satzkonstruktion, weil hier das "ich" und das Verb direkt hintereinander kommen. Und meistens wird das Verb betont gelesen, da fällt alles andere gegen ab. Ein ähnliches Problem mit dem betonten "ich, wie du es meinst, hatte Tucholsky in seinem Text "eine kleine Geburt": "Sie wollt ihn lassen Bildung lernen, ich aber war für Staatsanwalt." Ich finde also, das geht so im Jambus durch. Vor allen Dingen, da in meiner Anregung das jedoch sehr stark betont wird. Und außerdem hat dein Vorschlag nur vier Hebungen... Liebe Grüße Falderwald
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06.12.2015, 19:21 | #8 | |
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Moin Falderwald,
Zitat:
Mein Beispiel sollte der Verdeutlichung des mir vorschwebenden Rhythmus' dienen und erhebt nicht den Anspruch einer inhaltlichen Lösung. Käme Monsieur mit "doch ich muss noch ein Weilchen damit leben" besser klar? Ich weiß auch, dass du die meisten deiner Verse mit einem berühmten Zitat rechtfertigen kannst (dafür meinen größten Respekt). So auch hier. Sei's drum, die von dir gewählten Tucholskyverse zeigen zumindest, dass ich meine Gedanken so ausgedrückt habe, dass du mich verstanden hast. Dennoch käme ich nicht auf die Idee, "ich aber wär für..." zu betonen. Und Tucholsky selbst wahrscheinlich auch nicht, denn in den folgenden (von dir nicht zitierten Versen des selben sehr witzigen Gedichts) verbiegt er den Jambus so abstrus, wie es nur komische, satirische oder selbstironische Werke zulassen (Heinz Erhardt war auch ein Fan davon). Da fragte Mutti ganz real:Das funktioniert aber (meinem verdammten Bauchgefühl nach und ohne jeglichen Quellennachweis) nicht in ernsthafter Dichtung. lg Bodo |
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06.12.2015, 19:57 | #9 |
Lyrische Emotion
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Moin Bodo,
das ist ein witziges Gedicht? Also mir bleibt dabei das Lachen im Halse stecken, denn das ist absolut ernst gemeint, dabei aber perfekt und gekonnt als Satire verpackt. Die von mir zitierten Zeilen sind der Kern des Textes, das ist es, was er damit aussagen wollte. Das war die Kritik an der damaligen Rechtsprechung, die er für korrupt, voreingenommen, ideologisch verblendet und unfähig erachtete. Sie wollte ihn lassen Bildung lernen, ich aber war für Staatsanwalt. Das sagt doch alles aus - ein direkter Schlag in Justitias Fresse. Das war absolut ernsthafte Dichtung, ich glaube, du musst dich noch ein wenig mit dem "Tucho" beschäftigen. Ich habe alle seine Gedichte immer wieder gelesen und mache das auch heute noch. Eine bessere Aufklärung über die damalige Zeit wirst du nicht finden (wenn du seine Gedichte chronologisch liest). Ja, er hat sich den Jambus in seinen Zeilen gut zurecht gebogen. Aber das funktionierte doch. Und warum sollte es dann hier nicht funktionieren? Aus einem Bauchgefühl heraus? Liebe Grüße Falderwald
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06.12.2015, 20:43 | #10 | |
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Mensch Falderwald,
na klar ist es witzig. Mindestens im Sinne von "geistreich", aber darüber hinaus erregt es auch Schmunzeln bis hin zu breitem Grinsen - und zwar genau aus den von dir genannten Gründen und vor allem in dem von dir gebrachten Zitat. Ich finde das herrlich. Und ja, das verbogene Metrum funktioniert hier ganz hervorragend, denn es unterstützt die Satire. Zitat:
Missverständlich ist zugegebenermaßen mein Ausdruck "ernsthafte Dichtung", weil Satire, da hast du vollkommen recht, natürlich auch ernsthaft ist. Ich meine, in Nachteules Versen spricht ein LI direkt und ehrlich, über genau so gemeinte Gefühle (bzw. Nichtgefühle). Es handelt sich nicht (zumindest für mich nicht erkennbar) um Satire, noch wird an die Lachmuskeln des Lesers appelliert. Das meinte ich mit "ernsthaft". Ich bin aber gerne bereit, ein geeigneteres Adjektiv deiner Empfehlung dafür zu benutzen (ironiefrei!). Und genau vor diesem Hintergrund wirkt eine Verbiegung störend. Ist diese Zurechtbiegung, wie im vorliegenden Fall, nun eher unaufdringlich, dann erzeugt sie, weil der Leser im Metrum bleibt, allenfalls ein wenig Leiergefahr (schon wieder so ein Laienausdruck, sorry). Wäre sie dagegen so stark, wie beim Aufzählen der Berufe im Tucholskygedicht, dann würde das ganze Werk meiner Meinung nach unfreiwillig komisch und damit lächerlich. Gruß Bodo |
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