15.10.2016, 13:45 | #1 |
TENEBRAE
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Oktobergedanken
Die frühe Sonne tastet mit gestreckten Fingern
aus Dunst und Honiglicht durch über Nacht entrückte, entlebte Grüne, die ein frühes Frieren drückte, und Regung im Gezweig macht ihre Hände Schlingern, wo kalte Brisen wispernd durch die Kronen taumeln wie eine Mahnung an das kommende Verblassen, wenn Frost und Raureifglitzern nach den Farben fassen und kaum noch dürre Blätter an den Ästen baumeln. Memento Mori ohne wärmende Gedanken: was lebte, stirbt dahin und wird zu Erde werden. Mag auch so manches zähe Laub sich stur gebärden - es sinkt zuletzt wie jene, die davor schon sanken. Und doch vermag die dunkle Aussicht zu versöhnen! Aus jedem Fallen wird ein neues Blühen treiben, das Leben selbst wird weiterhin am Leben bleiben und Trost im Wunderbaren finden und im Schönen.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (22.09.2019 um 10:33 Uhr) |
15.10.2016, 14:44 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo eKy,
ausdrucksstark beschreibst du hier den Übergang von Herbst nach Winter und was im Zuge dessen mit der Natur und dem Leben passiert. Es beginnt schon beinahe idylisch, dann steht das Sterben im Vordergund. In der letzten Strophe tröstest du den Leser noch mit dem Ausblick auf den auf die Winterdunkelheit folgenden Frühling. Ich persönlich muss sagen: So schön die wenigen goldenen Herbsttage auch sind, und obgleich der Winter auch sonnige Tage hat, ich kann diese graue Hälfte des Jahres nicht recht leiden. Da versöhnt mich nicht einmal der Ausblick auf den Frühling Sehr gern gelesen! Gruß, Laie |
15.10.2016, 19:32 | #3 |
TENEBRAE
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Hi Laie!
Da ergeht es mir wie dir: Dem Herbst kann ich noch Süß-Melancholisches abgewinnen, aber den Winter kann auch nicht nicht leiden! Für die - mittlerweile auch schon eher marginal möglichen - paar Tage Schneeidylle wie auf Kitschpostkarten bezahlen wir mit Monaten neblig-nasskalten Schmuddelwetters, angefüllt mit Gerüchen nach Moder und erdigem Zerfall, kahlen Bäumen, Leichenfarben rundum - und der dazu passenden Laune! Vielen Dank für deine lobenden Worte! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
17.10.2016, 16:47 | #4 |
Slawische Seele
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Lieber eKy,
wunderschöne lyrische Herbstgedanken, die beim Lesen für einen Augenblick versöhnen, dass es so ist. Schaut oder geht man hinaus, kann man auf das sterbende Schauspiel verzichten. Im Frühjahr und Sommer beklage ich zu gerne, dass diese Zeit so schnell vergeht. Ab Oktober vergeht sie mir nicht schnell genug. Und doch vermag die dunkle Zeit zu versöhnen, leistet man es sich vom heimeligen Zimmer aus zu lesen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
17.10.2016, 17:43 | #5 |
TENEBRAE
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Hi Dana!
Diese herbstliche Farbenpracht ist ja das Süß-Melancholische daran: Dass gerade im Absterben soviel Buntes entsteht und für kurze Zeit über den Verfall hinwegtäuscht. Wie ein Künstler, der - schon sterbend dahinsiechend - kurz vor dem Ende erst seine schönsten und unsterblichsten Bilder malt ... LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
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