06.01.2019, 19:24 | #1 |
TENEBRAE
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Ein menschliches Adventsereignis
Ein dünner Mann in abgewetzten Sachen
steht murmelnd vor beladenen Regalen mit Etiketten voller schwarzer Zahlen, die ihn befangen und verzweifelt machen. Nach allen Seiten klamme Blicke äugend hat er nach dem Gewünschten sich gebückt, es unter seinen Jackensaum gedrückt, und tut sofort, doch wenig überzeugend, grad so, als wäre nichts davon geschehen. Er tigert an die Schlange vor der Kasse und fragt devot, ob man vorbei ihn lasse - er habe nichts, das könne jeder sehen. Er sieht den Ausgang schon, und seine Schritte sind wie beflügelt von gelöstem Bann, da tritt ein strenges Paar an ihn heran und nimmt ihn unauffällig in die Mitte. Man bittet ihn, die Jacke aufzumachen - er ist ertappt! Er kann nicht mehr entkommen! So hat man ihn nach hinten mitgenommen und staunt nicht schlecht ob der geraubten Sachen: Ein Kinderpulli bis zu sieben Jahren und Förmchen für den Sand mit Plastikschippe, das trug der „Kriminelle“ an der Rippe! Er schweigt dazu, will sich nicht offenbaren. Der Detektiv tauscht einen langen Blick mit dem Kollegen, und er spricht sodann: „Mit solchem Kleinkram fangen wir nichts an! Entschuldigen Sie unser Missgeschick!" Und sie begleiten ihn bis an die Pforte und reichen ihm die Beute hinterdrein. Da steht er nun und denkt: 'Das kann nicht sein!', und lange Zeit noch fehlen ihm die Worte.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (06.01.2019 um 19:38 Uhr) |
06.01.2019, 22:30 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
das ist ein sehr schöne Ballade und dein Gedicht beweist, dass man auch heute noch Baladen schrieben kann. "Kriminelle" würde ich ohne Anführungszeichen schreiben, es wird auch so klar, wie es gemeint ist. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
06.01.2019, 23:05 | #3 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Für eine Ballade ist es wohl ein wenig kurz geraten. Die Gänsefüßchen bei "Kriminelle" würde ich gern lassen, auch wenn der Sinn ohne verständlich wäre, einfach um dem Leser die extra Betonung zu erleichtern. Hier dachte ich an einen arbeitslosen, verarmten Familienvater, vielleicht mit kranker oder verstorbener Frau, der mehrere Kinder zu versorgen hat, und das wenige Geld hinten und vorne nicht reicht, schon gar nicht für die simpelsten und billigsten Weihnachtsgeschenke! Man denkt bei europäischer Armut gern an die Romane von Charles Dickens aus dem 19. Jhdt, aber die heutige Armut ist kaum weniger hart, auch wenn die Kinder betroffener Familien heute nicht mehr so offensichtlich in Lumpen herumlaufen wie damals. Oder man denkt an rumänische Kinderbanden, die Klebstoff schnüffeln und in Ubahnschächten nächtigen, weit weg von uns, und das es sowas bei uns nicht mehr geben könnte - aber auch da sind wir mit der immer weiter aufklaffenden Schere zwischen Wohlstand und Mangel nicht mehr allzu weit entfernt! Alle verspotten die SPD, und keiner will sie mehr gewählt haben - aber ich erinnere mich an Zeiten Brandt'scher und Schmidt'scher Integrität, da waren sie noch nicht von der Schröder'schen slicken Managerattitüde verdorben, und damals wären Zustände wie die heutigen unter ihrer aufrichtig humanistischen Ägide einfach nicht denkbar gewesen! Aber was weiß schon ein weltfremder Träumer wie ich ... Nun, wie auch immer - die heute so leichthin gesellschaftlich akzeptierte herz- und geistlose Nulltoleranz zur Gewinnoptimierung ist ja kein neues Merkmal einer emotional immer mehr verarmenden Gesellschaft. In Wirklichkeit wären die Detektive wahrscheinlich sofort entlassen worden, hätte jemand die Vorgänge auf den Kameras mitverfolgt oder jemand sie später gesichtet, egal, ob sie die gestohlenen Artikel aus eigener Tasche sofort bezahlt hätten oder nicht. Konzerne machen vielleicht manches einfacher und bieten dank internationaler Aufstellung bessere Auswahl an Produnkten, aber wir bezahlen dafür mit einer Kleiherzig- und Kleingeistigkeit in Dingen, die uns eigentlich menschlich berühren sollten, einfach, weil die große Maschine, die wir bedienen, damit sie uns dient, es so für effizient und adäquat hält. Dieses Denken erstreckt sich dann irgendwann auf unsere ganze Zivilisation - wie anders könnten Politiker ungeohrfeigt vorschlagen, man solle Flüchtlinge mit Elektrozäunen fernhalten, oder gar mit gezielten Todesschüssen, oder sie gleich im Mittelmeer ersaufen lassen!? Vielen Dank für deinen prompten Kommi (der vielleicht der einzige bleiben wird ...)! LG, eKy
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06.01.2019, 23:11 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
es ist eine Ballade. Die Länge ist nicht entschiedend. Die kürzeste Balade, die ich kenne, ist Uhlands "Die Rache" und die ist sehr viel kürzer. Das mit den Anführungszeichen ist Geschmackssache, lass es ruhig so, wie es ist. Liebe Grüße Thomas
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07.01.2019, 00:32 | #5 |
TENEBRAE
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Na wenn du es sagst - ich dachte bei Ballade immer an die seitenlangen Glocken- und Ibikus-Dinger von Schiller oder Goethe ...
LG, eKy
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07.01.2019, 12:35 | #6 | |
Nixe, rotblond
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Zitat:
Deine Bezeichnung, Erich Kykal, incl. der Smilies zeugen von Herablassung, was diese Größen nicht verdient haben. Nicht nur R.M.R. verdient Respekt und Beachtung.
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Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß. Wilhelm Busch |
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07.01.2019, 19:17 | #7 |
TENEBRAE
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Hi ww!
Muss ich dich wirklich mit dem Konzept der Ironie vertraut machen!? Mein Kommi war nicht abwertend gemeint. Man könnte bestenfalls sagen, dass die altbekannten Werke schon ein wenig "abgenutzt" wirken ab und zu, weil sie so oft zitiert werden. Aber das ist an sich ja schon ein Gütesiegel! Der einzige Smiley, dem man mit etwas Wohlwollen "Herablassung" andichten könnte, ist jener mit den rollenden Augen, aber der bezog sich in diesem Fall eher auf das "seitenlang" (aufwändig zu lesen, gerade bei Schiller), womit ich andeuten wollte, dass mir einige dieser Werke nach eigenem Gusto zu lang, zu breit ausgewalzt erscheinen. Mir mittels der fragwürdigen Auslegung eines einzigen Smileys "lyrischen Snobismus" andichten zu wollen, sehe ich als sehr oberflächlichen Versuch, meine Integrität weiterhin zu untergraben, um mich charakterlich in ein schlechtes Licht rücken zu können. Kannst du's nicht endlich mal gut sein lassen? Wenn du nicht sicher bist, wie ich etwas gemeint habe, könntest du ja zumindest erst mal persönlich nachfragen, öffentlich oder per PN, ehe du vorschnell urteilst - es sei denn natürlich, du suchst bewusst nach Gelegenheiten, mich zu diskreditieren. Eine Möglichkeit, die ich dir nicht unterstellen will, außer du lieferst den endgültigen Gegenbeweis. Aber vielleicht bin ich schon wieder überkorrekt - vielleicht sollte ich einfach "Ja, du hast recht! Ich entschuldige mich vielmals und gelobe Besserung!" sagen und mir den Ärger eines sinnlosen Disputs ersparen. Vielleicht ist das nur so eine Art Machtspielchen für dich. Unnötig, da mir an Macht nichts liegt. Du verwechselst möglicherweise meine Selbstsicherheit mit Selbstgefälligkeit ... eKy
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07.01.2019, 21:23 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
bleib nur locker, ich habe deinen Kommentar nicht als abwertend gelesen (mit oder ohne Smilies) und normalerweise wird das niemand tun, vor allem, wenn er ihn im Zusammenhang liest. Leider wird es modern, sich auf einzelne Worte zu stürzen, um sich zu empören. Twitter lässt grüßen. Das Empfinden für die Länge von Gedichten hat sich übrigens verändert. Noch zur Zeit von E.A.Poe wurde z.B. "The Raven" als kurz empfunden, heute hält man ihn für lang. Wahrscheinlich ist bald alles, was mehr als 17 Silben hat, zu lang. Twitter lässt grüßen. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (07.01.2019 um 21:55 Uhr) |
08.01.2019, 22:26 | #9 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Danke für die Bestätigung! Nun, ich wuchs ohne Twitter auf, aber selbst mir erschien "The Raven" schon ziemlich langatmig, so um die Mitte rum (und ein wenig melodramatisch, all das pathetische Gejammer dieses abergläubischen Weicheis ) - Oh, war das jetzt schon wieder "herablassend"!? Man kann heutzutage einfach keine Witze mehr zu irgendetwas machen, ohne dass irgendein Etepetetebürger auf "political correctness" pocht, egal, ob ihn das was angeht oder nicht! Kaum mehr möglich, ein wenig Ironie spielen zu lassen, ohne dass sich nicht irgend ein moralapostolischer Wichtigtuer über irgendein in seinen Augen irgendetwas oder irgendjemanden kränkendes Detail erbost und empört! Ich gründe jetzt bald mal eine eigene "Me too"-Bewegung für alternde Opfer moralinsaurer Gewohnheitseinmischer! LG, eKy PS: Und damit hat ww es wieder mal geschafft: In diesem Faden geht es wieder mal um alles mögliche, bloß nicht mehr um das eigentliche Gedicht!
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09.01.2019, 11:20 | #10 | |
Nixe, rotblond
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Hallo eKy,
nun schau dir doch bloß mal an, was du aus meinem einzigen Post #6 in diesem Faden gemacht hast Die Grundsätzlichkeiten generell scheinen dich ja massiv zu verfolgen. Das ist alles Schnee von gestern in unserer kurzlebigen und von ständig wechselnden Ereignissen überbordenden Zeit. Zitat:
Das, was du alles in mein kurzes Statement hineininterpretierst, ist wahrscheinlich deinem nachtragenden Charakter entwachsen. Sorry, wenn ich dir hier etwas Persönliches anhänge - aber das geht aus deinen Posts hervor und ich betreibe damit keine Unterstellung Dein Gedicht? Dafür sind andere zuständig. Mir ging es um die Art des Umgangs mit unserem Kulturerbe. Und daraus gleich einen Rundumschlag zu verfassen - ich hielt dich für souveräner. MfG ww
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