19.02.2019, 17:15 | #1 |
Gelegenheitsdichter
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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Melancholie, regenfad.
Melancholie, regenfad.
Der Morgen hat den Mund sehr vollgenommen. Jetzt steht er da mit seiner kurzen Hose. Es waren nur noch Reste in der Dose; Den Kaffee hat er nicht mehr hinbekommen. Die Blätter auf dem Tisch sind leer und lose. Der Plan vom Leben bleibt total verschwommen. Dem Dichter schwant nichts Gutes, und beklommen Schreibt er von Lebensangst und toter Rose. Der Himmel hat sich heute überworfen Und weint jetzt regenfad Melancholie. Er weiß doch, so gebiert man Liebe nie, Versucht, die Trauer in ein Bild zu morphen, Lebendiger und schöner noch als sie; Am Ende ist es nur ein Schuss ins Knie.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt |
19.02.2019, 19:15 | #2 |
TENEBRAE
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Beiträge: 8.570
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Hi Walther!
Super gedichtet, aber: Sollte "Trauer" wirklich "lebendig und schön" sein? Das Bild widerspricht sich mE., so wie du den Satz konstruiert hast. Auch beim "morphen" ist mein Sprachgefühl zusammengezuckt, denn als kaum gebräuchliches Fremdwort sticht der Ausdruck doch sehr - und sprachharmonisch leider unangenehm, zumindest für mich - heraus. Ebenfalls nicht optimal der Übergang von S1Z1 zu Z2: In Z1 ist vom Morgen die Rede, in Z2 nimmt man mit dem "er" also automatisch Bezug auf ebendiesen personifizierten Morgen - aber inhaltlich passt das nicht, so weit ich es mitbekommen habe: Das "er" meint da schon den blockierten Dichter! Da dieser allerdings nie dazwischen namentlich eingeführt wurde, kommt es beim ersten "er" nach dem zu vollmundigen Morgen eben zu einer fehlerhaften Kausalverknüpfung, die den Lesegenuss doch deutlich einschränkt. Abgesehen von den monierten Stellen ein höchst gelungenes Sonett! Sehr gern gelesen und beklugscheißert! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
20.02.2019, 13:27 | #3 |
Gelegenheitsdichter
Registriert seit: 09.11.2009
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Beiträge: 3.210
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Lieber eKy,
danke für deine detaillierte besprechung. der bezug in s1 ist korrekt. das "er" dort bezieht auf den morgen. das bild in s4 widerspricht sich nicht, denn der dichter scheitert ja beim versuch, das hinzukriegen. lieber gruß W.
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20.02.2019, 15:52 | #4 |
TENEBRAE
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Walther!
Sorry, dass ich nachhake, aber ich denke, der Text verdient ob seiner Gesamtqualität ein paar weitere Gedanken: Zu S1 - Und wann genau schaltet dein Text dann um vom personifizierten Morgen zum vergnatzten Dichter, der ihn durchlebt? Dieser undifferzierte Wechsel sorgt beim Leser für Verwirrung. Das würde ich eindeutiger klären. Logisch wäre für mich zwischen S1Z2 und 3, denn wie käme ein Morgen, personifiziert oder nicht, dazu, auch noch einzukaufen und Kaffee zu brühen!? Da müsste der Dichter zum ersten Mal "eingeführt" werden, damit die Bezüge "umspringen": Der Morgen hat den Mund sehr vollgenommen. Jetzt steht er da mit seiner kurzen Hose. Dem Dichter bleiben Reste aus der Dose; Den Kaffee hat er nicht mehr hinbekommen. Sonst bekäme der Morgen auch zuviel inhaltliches Gewicht, hier geht es ja vornehmlich um den Poeten. Und was genau soll das Bild mit der "kurzen Hose" besagen? Liest das Gedicht jemand im Sommer, kommt ihm daran nichts seltsam oder unpassend vor. Daraus ein allgemein gültiges Symbol für "zu kurz gekommen" zu basteln, erscheint mir etwas gewagt. S4 - Ach so - ein Bezugsproblem! Ich dachte, "lebendiger und schöner" bezöge sich auf "Trauer", aber du meintest "Bild". So wäre der Bezug klar: Versucht, die Trauer in ein Bild zu morphen, das schöner noch und tiefer ist als sie; Der Artikel eingangs der Zeile klärt eindeutig, was gemeint ist. Das würde weiteren Lesern meinen Lapsus ersparen. Nochmals gerne gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
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