02.09.2011, 12:11 | #1 |
Gelegenheitsdichter
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Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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Sonett mit vorgehaltenem Spiegel
Sonett mit vorgehaltenem Spiegel
Ich rate mir, mich nicht im Spiegel zu betrachten: Dort könnt ich sehen, was ich gar nicht sehen will. Ich schweige mich beim Kämmen an, sag nichts, bin still Und mühe mich vergeblich ab, nicht zu beachten, Was mir brutal ins Auge springt: die neuen Falten, Die Tränensäcke und das viele Weiß im Bart. Der Bube, der dort starrt, der war mal jung und smart. Jetzt kann er, flucht er, bald nicht mehr das Wasser halten. Ich dusche mich schon heiß, der Spiegel soll beschlagen, Damit, wenn ich den Bauch forsch in die Hose zwing, Sich die Erkenntnis selbst enthebt und rasch die Fragen, Warum ich, nicht mehr jung, die großen Sprüche schwing, Vertagt, bis ich sie doch nicht mehr vertagen kann: Erwachsen sein wär an der Zeit. Man stirbt als Mann.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt |
02.09.2011, 13:05 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
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guten tag walther,
mir gefallen diese verse, nur der schluß ist mir zu traugig/schwermütig es steckt etwas selbstironie darin und dazu will mir der tod nicht gefallen ansonsten gern gelesen lg ida |
02.09.2011, 21:24 | #3 |
Slawische Seele
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
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Lieber Walther,
habe schon lange nicht mehr so gelacht. Ich sehe das lyr. Ich im Bad: gespielt gleichgültig, ein wenig brummig und doch stolz, gestehend aber nicht zeigend und immer wieder in den Spiegel schielend. Jeder Vers ist ein Bild, das lachend macht, weil es genau das trifft, was alle trifft. Man sagt, die Menschen lachen im Theater am lautesten, wenn ihr eigenes Sein auf die Schippe genommen wird. Es wird plötzlich lustig. Ein herrliches Sonett! Hervorheben möchte ich die 1. und 3. Strophe - echte Knaller, wenn man das so als bartlose ohne Bauch sagen darf. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
02.09.2011, 22:41 | #4 |
Lyrische Emotion
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Beiträge: 9.912
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Hallo Walther,
sag mal, findest du es nicht ein wenig unverschämt, hier so unverblümt über mich zu berichten? Nein, im Ernst, das Vorhalten des Spiegels ist diesem Sonett wirklich gelungen, das kann man nur gekonnt nennen. Von Zeile zu Zeile habe ich mich nickend durchgeschmunzelt und am Ende schaute ein breites Grinsen durch das viele Weiß in meinem Bart. Im Gegensatz zu Ida finde ich den Schluss überhaupt nicht schwermütig. Liebe Ida, das kannst du als Frau nicht verstehen. Männer sind nun mal anders gestrickt. Wir gehen wie ganze Kerle durchs Leben, immer Bauch rein, Brust raus, aufrecht, wie die Helden und blicken dem Tode unerschrocken ins eisige Auge. Mehr Selbstironie geht nun wirklich nicht mehr. Das ist ein wirklich lebendiges Gedicht und beste Unterhaltung für den Freitag Abend, so kann das Wochenende beginnen. Gut gemacht. Gerne gelesen, gelacht und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
05.09.2011, 21:48 | #5 |
Gelegenheitsdichter
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Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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Lb. Ida,
danke für Deine freundlichen Worte. In der Tat kann man sich am letzten Vers stören. Aber ein wenig schwarzer Humor gehört zum Leben dazu. Und zum Sterben. LG W. Lb. Dana, wer sich ernst nimmt, wird wirklich alt. Danke für Deine lobenden Worte!. LG W. Lb. Falderwald, tja, was soll ich da sagen? Danke und Gruß W.
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07.09.2011, 15:42 | #6 | |||||
Neuer Eiland-Dichter
Registriert seit: 03.09.2011
Beiträge: 15
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Insgesamt ein schönes Sonett. Mir gefällt besonders das Thema, es ist auch metrisch schön umgesetzt.
Was die Form des Werkes angeht, mag ich vor allem die jambischen Sechsheber, weil sie – ungeachtet der Tatsache, dass die Zäsuren nach der sechsten Silbe jedes Verses fehlen – an das das deutsche Barocksonett erinnern. Es hätte zwar insofern gepasst, als dem Sonett durch seine Beschäftigung mit den Merkmalen des Alterns ein gewisser (leicht satirischer) memento mori-Unterton anhaftet. Allerdings hätten sie dem Sonett auch eine gewisse Steifheit verliehen, die den wunderbar locker und frei dargebotenen Inhalt konterkariert hätten. Da Du Dich keiner Inversionen oder eines starken Hakenstils bedienst, wirkt das Sonett selbstironisch, was Dir meiner Erachtens sher gut gelungen ist. Zum Inhalt habe ich einige kleinere Anmerkungen: Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Fazit: trotz meiner Nörgelei halte ich das Sonett für gelungen. (Nebenbei, ich bitte darum, meine fehlenden Grüße zu Beginn und am Ende jedes meiner Beiträge nicht als unhöflich zu interpretieren. Ich bin einfach der Meinung, dass man sich, wenn man sich nicht einmal ‚in echt‘ begegnet, derlei Ritualen nicht hinzugeben braucht.) Geändert von Odiumediae (07.09.2011 um 15:45 Uhr) |
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12.09.2011, 13:20 | #7 |
Gelegenheitsdichter
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Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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Lb. Odiumediae,
danke für Deine ausführliche Besprechung, die ich erst heute beantworten kann. Bewußt habe ich den sechshebigen Jambus gewählt, der, wie Du vermerkt hast, gerne im Barock von Gryphius & Co. verwandt wurde. Dadurch wollte ich den Gegensatz zwischen Form und Inhalt in mehrfacher Hinsicht verstärken. Du greifst den 3. Vers des ersten Quartetts auf und bedeutest dem Leser, hier habe das Versmaß die Feder geführt. Weit gefehlt. Wenn Du einmal das Quartett und meiner und danach in Deiner Version vorträgst, wirst Du sofort verstehen, warum das genauso formuliert werden muß, wie es im Original stand. Ebenso hast Du den 3. Vers den zweiten Quartetts vorgenommen und bemängelst, hier sei das Wort "smart" nicht ganz "optimal". Wie Du herausgestellt hast, ist dieses Wort dem "Alter" des LyrIchs vielleicht nicht ganz angemessen, aber genau das ist der Grund, warum es dort steht. Eben weil diese Unangemessenheit den ironischen Grundton des Inhalts verstärkt. Danke für Deine insgesamt positive Bewertung. Solches erfreut den brotlosen Lyriker immer. Denn als ein wenig Lob ist mit Lyrik, wenn sie nicht von den Klassikern ist, nicht mehr zu gewinnen. Frohes Dichten und Werken! LG W.
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