08.09.2011, 00:13 | #1 |
Neuer Eiland-Dichter
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Beiträge: 15
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Faden und Schere
Der Spiegel zeigt im Licht das Abbild eines Toren.
Es ist dein Lebensdocht kaum einen Zoll mehr lang, auch ist dir, mehr als je, um diesen angst und bang, so hast du in der Furcht das Haupt dir kahl geschoren. Dein Weib ist lang schon fort, die Säfte sind vergoren; Bedrückung, Wehmut, Gram, der Sinne steter Zwang. Dein Augenlicht ist trüb, den Ohren darbt nach Klang, dein dereinst weicher Kern ist heute starr gefroren. Es hat des Menschen Garn, ob wollen oder seiden, Beginn und Ende nur, die er nicht koppeln kann. Was folgt, ist keine Qual, nur sanfte Liderschwere, so nützt das Klagen nichts, sei weise, sei bescheiden: ein letzter Schluck vom Wein, ein Lebewohl – und dann die Ruhe nach dem Schnitt der Atropos'schen Schere. Geändert von Odiumediae (21.09.2011 um 10:53 Uhr) |
08.09.2011, 18:57 | #2 | |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Hallo Odiumediae,
nachdem ich dein Sonett gelesen habe, erinnerte ich mich an den oft gesprochenen Satz: Ein jeder sollte sich bemühen, in Würde alt zu werden. Es geht darin um die eigene Würde, nicht um die, die man älteren Menschen zollen sollte. Du hast es wunderbar in Sonettversen verfasst, nicht gemahnt, eher beraten. Trotz Spiegel, trotz erstarrten Kerns wird die "Ansprache" in den Terzetten weicher - man bekommt das Gefühl, dass es auch von der Entscheidung des Betroffenen abhängt, wie er seine "letzten" Tage leben kann und sollte. Sich auf das Altern und das Alter versöhnlich einzulassen, wäre in jedem Falle eine weise Entscheidung. Das Unabwendbare ist da. Starrsinn, Gram oder gar stetiger Zwang und falsche Eitelkeiten kommen nicht an, verunsichern die Umgebung (Angehörige und Mitmenschen) und derjenige selbst bekommt die Ablehnung zu spüren. Es gibt nichts Sympathischeres, als versöhnte, lebenskluge und freundliche alte Menschen. Das nicht koppelbare Lebensgarn hat mir besonders imponiert, wie überhaupt die verwendeten Metaphern: Docht (eine Kerze gibt Licht indem sie sich selbst verzehrt) und die Antropos'sche Schere. Nur hier: Zitat:
Die Aussage widerspricht dem Anraten, alles andere als gegeben anzunehmen. Hier könnte auch die Zeit tätig werden - ich habe nur keinen spontanen Vorschlag. Das ist jedoch nur eine Kleinigkeit. Dein Sonett gefällt mir - noch mehr bei der Vorstellung, dass es von einem ganz und gar nicht Alten verfasst worden ist. Gern gelesen und kommentiert, liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
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09.09.2011, 10:46 | #3 | |
Neuer Eiland-Dichter
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Beiträge: 15
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Hallo, Dana!
Vielen Dank für das Lob und Deine ausführliche und konstruktive Kritik. Was diese Stelle angeht: Zitat:
Ich benutze oft und gerne Metaphern aus der griechischen Sagenwelt, wie man am Ende des Sonetts sieht, weil ich besonders von der barocken Dichtkunst beeinflusst bin. Daher auch die ständigen memento mori- und ars moriendi-Motive. Mit diesem Vers spreche ich auf Thanatos an, der den Menschen, wenn er sie mit sich nimmt, eine Locke vom Haar abschneidet. Darin steckt die letzte Angst des alten Menschen vor dem Tode verborgen. Ich gebe zu, das ist nicht offensichtlich, ich hätte es zumindest anmerken sollen. Geändert von Odiumediae (09.09.2011 um 11:17 Uhr) |
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09.09.2011, 13:24 | #4 |
TENEBRAE
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Hi, Odi!
In S2Z2 würde ich schreiben: "...der Sinne steter Zwang" Liest sich obstruktionsfreier, weicher als "stetig" dort. Letzte Zeile: "...und dann leg leise Atropos den klammen Faden in die Schere." (Oder so ähnlich - da wäre noch einiges austauschbar) So liest es sich ebenfalls beruhigter und flüssiger, ohne die wesentliche Aussage letztlich zu ändern. Dein "Atropos'sche Schere" ist ein rechter Zungenbrecher beim Vortrag! Ansonsten nix zu meckern! Sehr anspruchsvolle Lyrik mit kulturellen Bezügen, sprachlich höchst elaboriert. Sehr gern gelesen und beklugscheißert! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
09.09.2011, 14:03 | #5 | ||
Neuer Eiland-Dichter
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Hi, eKy!
Zitat:
Zitat:
Vielen Dank für das Lob und Deine Vorschläge! |
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