29.04.2013, 22:03 | #1 |
Lyrische Emotion
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Ein Hauch von dir
Ein Hauch von dir Vier Jahrzehnte später... Wie gerne hätte ich dich festgehalten, doch irgendetwas zog an dir so schwer, du fühltest dich zerbrechlich an, nur leer schien sich dein Blick in meinem zu entfalten. Die Zeit verrann und lange ist es her, schon warst du eine jener Geistgestalten, die nur noch in Erinnerungen walten, du fehltest deinem kleinen Jungen sehr. Ob du ein Engel warst, kann ich nicht sagen, ich konnte dich in keinen Himmel heben, noch nicht einmal zur letzten Ruhe tragen. Und wieder musstest du zu schnell entschweben, doch will ich über diesen Traum nicht klagen; sekundenlang erwachtest du zum Leben. Falderwald . .. .
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
30.04.2013, 16:19 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Hallo Faldewald,
ich interpretiere den "kleinen Jungen" wie in Anführungszeichen geschrieben, d.h. es handelt sich um den Hauche eines Traumes des "kleinen Jungen" von seiner Mutter. Sehr schön ist das doppelte Bedeuten von "festhalten" im Leben und im Traum und auch der Beginn der Reflektion mit der ersten Terzine. Das Sonett gefält mir sehr gut. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
30.04.2013, 20:16 | #3 |
TENEBRAE
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Hi, Faldi!
Fast unerwartet "weiche" Töne aus deiner sonst so spitzen Feder! Gefällt mir ausnehmend gut! Die Reminiszenz an eine entschwundene Mutter anläßlich eines Blicks auf eine alte Fotografie oder ein flüchtiges Traumbild - so sehe ich die Botschaft. Das zu früh alleingelassene Kind, das sich nach wie vor nach dieser Mutter sehnt, die es zu kurz oder gar nicht hatte, und die offenbar - und das ist vielleicht das Schlimmste - einfach verschwand. Niemals zu wissen, warum oder weshalb - und immer unsicher zu sein, nie Gewissheit zu haben...ein schlimmes Trauma für ein Kind, das womöglich sogar die Schuld bei sich sucht...aber vielleicht interpretiere ich da zu freiflottierend. Jedenfalls sehr gerne gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
12.05.2013, 21:15 | #4 |
Lyrische Emotion
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Hi Thomas,
deine Interpretation zielt auf jeden Fall in die richtige Richtung, denn der Text gibt dem Leser keinen Anhaltspunkt um welche Person es sich handelt, die der Protagonist hier anspricht (siehe bitte auch meine Antwort an Erich). Sehr schön hast du die Doppelbedeutung des "Festhaltens" herausgestellt, genau so war es auch gemeint. Ich freue mich, dass dir das Sonett gefällt... Servus Erich, auch deine Interpretation kann ich so stehen lassen. Tatsächlich habe ich vor dem Schreiben dieses Textes alte Fotos, die mir meine Mutter () freundlicherweise überlassen hat, durchgestöbert und ich habe zwei Bilder von einem lieben Menschen bekommen, von dem ich vorher nur ein altes beschädigtes Passfoto besaß. Und da hatte ich einen Traum, in dem diese Person vorkam. In diesem Traum gab es zwei Handlungen. Eine davon habe ich hier verarbeitet, denn ich durfte diesen verehrten Menschen noch einmal im Arm halten. Ich war damals zehn Jahre alt, als er starb und weilte zum Zeitpunkt seiner Beisetzung verletzt im Krankenhaus. Aber er war 40 Jahre später noch einmal kurz da - bei mir... Kein Trauma, ein kurzer Traum nur, über dessen Kürze ich nicht klagen will. Es war melancholisch berührend und trotzdem schön, das noch einmal zu erleben. Es handelt sich aber weder um Mutter oder Vater. Die Mama lebt noch , der Vater ist acht Jahre später erst verstorben, soviel sei verraten. Schön, dass dir auch die weichen Töne gefallen... Vielen Dank für eure Kommentare, über die ich mich, trotz verpäteter Antwort, sehr gefreut habe... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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18.05.2013, 09:36 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hallo falderwald,
nach deiner kurzen erklärung ist das gedicht für mich um einiges fassbarer geworden - ich finde das sehr schön, wie du die flüchtige traumfigur noch einmal mit worten umfangen hast. für mich eine tatsache: dass wir im unbewussten mehr "wissende ahnung" und kontakt zu den erscheinungen der welt besitzen als wir mit unserem bewusstein je wissend erreichen könnten..... und dass der traum die via regia ins unbewusste ist, ist ja seit freud bekannt. ein kollektives unbewusstes solls laut c.g.jung ja auch geben..... somit ist also alle information vorhanden - es fragt sich nur, ob sich dem jeweiligen individuum ein zugang eröffnet. schön, dass du ihn ( oder er dich) gefunden hast! lg, larin
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20.05.2013, 14:05 | #6 |
Lyrische Emotion
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Servus larin,
das war meine Absicht, diese Traumfigur noch einmal zu (er)fassen und zu Papier zu bringen. Mit Freud habe ich allerdings so meine Probleme, denn viele seiner Thesen sind durch reine Selbstbeobachtung entstanden und ob dies verallgemeinerbar ist, wage ich zu bezweifeln. Zudem ist seine Arbeit eindeutig von Feuerbach, Schopenhauer und vor allem Nietzsche beeinflusst, wobei letzterer schon viele seiner Einsichten intuitiv vorweg genommen hatte. Ohne die Genannten wäre die Psychoanalyse niemals in dieser Form zustande gekommen. Ob wir im Unbewussten tatsächlich mehr "Wissende Ahnung" und Kontakt zu den Erscheinungen der Welt besitzen, erscheint mir auch mehr als fraglich. Ich glaube eher, dass wir im Bewusstsein mehr an den Realitäten festhalten und uns so quasi "verkrampfen" für manche Dinge, die durchaus z. B. als Erinnerungen in unserem Unterbewusstsein noch vorhanden sind. Im Schlaf "entkrampfen" wir uns und verlieren sozusagen dabei die Kontrolle über die bewusste Steuerung. Wünsche, Hoffnungen, aber auch Ängste und Gefahren können nach "oben" dringen und sich relativ frei als gefühlte Erlebnisse entfalten. Nach Sigmund Freud wäre dabei das "Über-Ich" ausgeschaltet und an seiner Stelle übernimmt das "Es" seine Rolle, um bestimmte Dinge ins Bewusstsein, also das "Ich" zu übermitteln. Aber all diese psychoanalytischen Ansätze sind mir ehrlich gesagt zu schablonenhaft, denn sie stecken alle Menschen in eine Uniform, Individualität und Wille gehen dabei verloren. Zudem sind viele Aussagen der Psychoanalyse empirisch überhaupt nicht überprüfbar, alle dahingehenden Versuche sind gescheitert. Des Weiteren wurde die Psychoanalyse seit Freud in vielfältige Richtungen weiterentwickelt und ist in ihrer aktuellen Ausrichtung nur in wenigen Punkten mit den ursprünglichen Freudschen Auffassungen übereinstimmend. Außerdem bestreite ich entschieden Freuds Behauptungen, dass alle Träume immer auf infantilen Wünschen beruhen und meistens sexuell motiviert seien. Selbst der von dir zitierte Carl Gustav Jung, einst Schüler von Freud, hat sich von seinem Lehrer abgewandt und seine eigene Psychoanalyse begründet. Wahrscheinlich träumen wir mehr, als in unserem Bewusstsein davon übrig bleibt. Für mich ist das ein Erleben auf rein geistiger Basis. Dinge, mit denen wir uns insgeheim beschäftigen, die uns belasten oder in anderer Form tangieren, werden so verarbeitet und erwachen scheinbar zum Leben. Träume sind der Stoff für unsere Fantasien, ohne Träume gäbe es wahrscheinlich keine Vorstellungskraft und unsere Welt wäre um einiges ärmer (auch wenn man auf einige Träume durchaus verzichten könnte). Aber eines ist wahr, mich hat es auch sehr berührt, noch einmal den Zugang zu "ihm" zu finden, ich hatte "ihn" für kurze Zeit noch einmal wiedergefunden und bei mir... Vielen Dank für deine Gedanken und deinen Kommentar... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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29.06.2013, 20:13 | #7 |
Slawische Seele
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Lieber Faldi,
ich muss hier ein wenig den "Insider" bekennen. Den "Hauch" lese ich nun verdichtet und bekenne erneut eine tiefe Berührung. Eine wunderschöne Lyrik, ein gekonntes Sonett und ein eingefangenes Gefühl, das echt herüber kommt. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
02.07.2013, 23:29 | #8 |
Lyrische Emotion
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Liebe Dana,
wie lange dauert so ein Traum? Minuten, Sekunden...? Ich weiß es nicht, meist sind es nur flüchtige Begebenheiten, diese aber hat mich so berührt, dass ich auf der einen Seite tieftraurig war, aber auf der anderen Seite mich darüber freuen konnte, dies noch einmal "erleben" zu dürfen, von dem ich geglaubt habe, es sei längst und unerreichbar in der Vergangenheit verloren. Nur ein kleines, eingefangenes Gefühl, aber es hatte mich erfüllt. .. . Ich freue mich über dein Lob... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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